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»Wie bei Kinderlandverschickung«

Heftige Kritik an Krankenkassen - Idee zur Evakuierung kam aus der Belegschaft

Von Dirk Bodderas
und Stephan Rechlin
Rheda-Wiedenbrück (WB). Maria Weber (49) erinnert sich an jeden Huckel zwischen Rheda und Gütersloh. Sie hatte gerade eine Bauchoperation hinter sich, als die Nachricht von der abrupten Krankenhaus-Räumung kam. Zwei junge Rettungssanitäter warnten sie vor jedem Schlagloch auf dem Weg ins Städtische Klinikum Gütersloh: »Vorsicht. Jetzt könnte es weh tun.«

Inzwischen geht es der Langenberger Patientin besser. »In der Heilphase hat mich die Evakuierung mindestens einen Tag gekostet,« ist sie überzeugt. Sie überlegt, ob sie ihrer Krankenkasse nicht die zehn Euro pro Tag streichen sollte, die für Krankenhausaufenthalte verlangt werden.
Ilse Fißmer (77) kommen noch immer die Tränen, wenn sie an die verzweifelten Pflegerinnen denkt. Die Evakuierung selbst habe sie an die Kinderlandverschickung während des Krieges erinnert: »Wir wurden unten im Flur zusammengerufen und dann einer nach dem anderen abtransportiert.« Die Gütersloherin hat sich das Krankenhaus Rheda bewusst für ihre Knöchel-Operation ausgesucht. »Im Elisabeth-Hospital hätte ich erst im April den ersten Termin bekommen. Hier wurde ich bereits im Januar zum ersten Mal operiert. Alles verlief plangemäß.« Sie war gerührt, als sie der behandelnde Arzt aus Rheda in Gütersloh aufsuchte und nach ihrem Befinden fragte: »So ist das halt in Rheda.«
Andreas Heller (42) aus Herzebrock-Clarholz will seiner Krankenkasse die Blitz-Evakuierung nicht so schnell vergessen. »Ich trete aus, sobald mein Aufenthalt hier abgerechnet ist«, kündigt er an.
So wie Heller geben die meisten Leute der Krankenkasse die Schuld an der Schließung. Beschlossen wurde sie allerdings vom Träger, der evangelischen Stiftung, und der Geschäftsleitung des Städtischen Klinikums Gütersloh. Das Gütersloher Klinikum wird auch die Kosten der Krankentransporte übernehmen, alles in allem rund 10 000 Euro. »Die Anregung zur Blitzevakuierung kam aus der Belegschaft. Die Menschen sollten deutlich sehen, zu welchen Konsequenzen die Politik der Krankenkassen führt«, teilt Ingo Engelmeyer mit, Geschäftsführer des Klinikums.
Er habe nicht für möglich gehalten, dass eine solche Evakuierung im Deutschland des Jahres 2005 passieren könnte. Die Verantwortlichen sind für Pfarrer i. R. Dr. Wennemar Schweer eindeutig die Krankenkassen. Sie hätten den Geldhahn zugedreht, womit der Evangelischen Stiftung Rheda die finanzielle Basis genommen worden sei. Für die Patienten, die über den 30. Juni hinaus im Krankenhaus geblieben wären, hätte es keine Haftung und Rechtssicherheit gegeben. Versäumnisse sieht Dr. Schweer auf Seiten der Bezirksregierung: »Wie konnte es passieren, dass wir erst Ende Juni einen Bescheid erhalten, der unzulänglich ist, in dem nicht die vorgesehene Bettenzahl für Rheda festgeschrieben und auch keine sofortige Vollziehbarkeit angeordnet ist?«
Scharfe Kritik an der Haltung der Krankenkassen übt auch die Gewerkschaft Verdi in einer Pressemitteilung. »Das ist Rambo-Politik, um die Standorte zu bereinigen«, stellt Gesundheitsexperte Dr. Bernd Tenbensel mit. Arbeitsplätze und Patientenversorgung würden gefährdet.
Weil ein rechtskräftiger Bescheid zur Fusion der beiden Krankenhäuser vorgelegen habe, seien die Kassen nicht gezwungen gewesen, so zu handeln, hat Regierungspräsident Andreas Wiebe Bürgermeister Bernd Jostkleigrewe erklärt. Eine Meinung, die die Krankenkassen natürlich nicht teilen. Interview Lokalseite 1.

Artikel vom 06.07.2005