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Deutsche Soldaten sind in
erbärmlichem Zustand

Jannek Streber soll gegen Engländer kämpfen

Levern (weh). Es war ein düsterer Tag in der Geschichte Leverns: Am 4. April 1945 griffen englische Soldaten den Ort an, weil dort ein deutsches Kommando beim Einmarsch der Besatzungstruppen noch Widerstand leistete.

Die Einheit, überwiegend aus jungen Soldaten unter 20 Jahren bestehend und nur mit Gewehren ausgestattet, konnte den drückend überlegenen Feind nicht aufhalten. Am Ende des Tages gab es zehn Tote unter der Zivilbevölkerung Leverns und unter den deutschen Soldaten. Mehr als 50 Leverner Häuser wurden getroffen. Dr. Jannek Streber aus Berlin war einer der 17-jährigen, die als Soldat den irrsinnigen Befehl erhielten, Levern zu »verteidigen«. In seiner Serie für die STEMWEDER ZEITUNG schildert er unter dem Titel »Von Aalborg nach Levern« seine Erinnerungen, die er auch in einem Buch veröffentlicht hat. Dr. Streber schreibt:
»Wir hasteten den Feldrand entlang, durch Gebüsch und Gesträuch gedeckt, und gelangten über einen Acker an die Rückseite des Gasthofs und auf den Dachboden. Die Rucksäcke lagen noch so da, wie wir sie verlassen hatten.
Da stand ich nun ratlos, sah durch das Dachfenster auf die Straße wie schon vor sechs Stunden, von derselben Stelle, durch dasselbe Fenster.
Aber es war nicht mehr dieselbe Truppe. Die Kompanie stand auf der Straße, vor dem Gasthaus angetreten. Aber wie sah sie jetzt aus? Zerzaust, verdreckt, verängstigt-stoisch, ohne Waffen, bewacht von einer Handvoll khaki-uniformierter Soldaten mit der MP im Anschlag. In mehreren Gruppen am Straßenrand aufgebrachte Einwohner. Es fehlten zehn Mann, acht Siebzehnjährige und zwei Ausbilder. Das erfuhr ich aber erst später.
Wir entschlossen uns, nach unten zu gehen. Die Khakiuniformierten guckten zwar erstaunt, dass da noch vier solcher Gesellen mit erhobenen Händen - es ist besser so, dachten wir - auf die Straße traten. Die schienen gar nicht zu wissen, was da auf dem Dachboden noch alles herum lag. Keine Visitation, ein Stoß mit dem Kolben und ich befand mich wieder in der Kolonne, die geklaute Butter im Brotbeutel am Koppel.
Auf dem sich anschließenden Transport erzählte man uns den Hergang des Dramas von Levern. Im Nachhinein stellte sich also heraus, dass das verschlafene Antreten und der Spähtrupp mich möglicherweise vor Schlimmerem bewahrt hatte. Und jetzt erst schoss mir durch den Kopf: Heute ist der 4. April, Vater hat Geburtstag. Diesen Tag werde ich wohl so schnell nicht vergessen.
Mit Lkw wurden wir in einen still gelegten Steinbruch gebracht. Der Steinbruch: Grau, nass. Ringsum steile Hänge, ein einziger Zugang mit Stacheldraht und Wachposten versperrt, der nur geöffnet wurde, wenn eine neue Menschenladung eintraf. Sie traf Schlag auf Schlag ein. Nach dem fünften Tag fanden die neu Angelieferten keinen freien Platz mehr. Die unbesiegbare Wehrmacht löste sich auf und verwandelte sich auf diesem Platz in einen Haufen über tausend verwilderter, ausgehungerter, kranker und stinkender Kreaturen.
Als wir abgeladen wurden, dachte ich erst, wir fänden eine Schlafstatt vor und könnten unseren Hunger stillen. Die anderen hatten seit dem 3. April abends nichts mehr gegessen. Ich konnte mich wenigstens im Vorratskeller des Bauernhauses versorgen. Hier aber gab es nichts, kein Zelt, keine Matratze, kein Brot, kein Wasser. Es war April, es regnete (wird fortgesetzt).

Artikel vom 02.07.2005