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Kirchenbänke in
Vibration versetzt

Wandelkonzert in Abdinghofkirche

Von Christine Hartlieb
(Text und Foto)
Paderborn (WV). Künstlerin, Wissenschaftlerin und Ärztin, Äbtissin und Mystikerin - Hildegard von Bingen ist eine der bedeutendsten Frauengestalten des Mittelalters. Ihre Dichtungen und Gesänge sind bis heute von großer Faszination.

Ein besonderer Ort, die Kunst der Benediktinerin aus dem 11. Jahrhundert zum Klingen zu bringen, ist die 1031 geweihte Abdinghofkirche, damals Abteikirche des Benediktinerklosters am Abdinghof. Stephanie und Christoph Haas, Sopranistin und Percussionist aus Stuttgart, gastierten als Ensemble »Cosmedin« im »Paderborner Orgelsommer«. Das Wandelkonzert führte später auch in die akustisch reizvolle Bartholomäuskapelle. Auf dem Programm standen Gesänge von Hildegard von Bingen, zumeist in der Bearbeitung für Gesang und Percussion, sowie Eigenkompositionen.
Im Mittelpunkt stand dabei weniger die religiöse als die akustische Erfahrung des besonderen Raumes und der Kraft der mittelalterlichen Melodien. Mit zuweilen herber Stimmgebung entführte Stephanie Haas die Zuhörer in die ebenso kunstvolle wie archaisch anmutende Welt der Gesänge Hildegards von Bingen. Die Texte, die als Reflexe der Visionen Hildegards vom »lebendigen Licht der Engel«, vom Christus als »Licht und Tag«, vom »blitzenden Licht der Sterne« als Bild der Gottesmutter erzählen, erhielten so zugleich Leuchtkraft und Tiefe.
In den Bearbeitungen von Christoph Haas gingen Gesang und Percussion dabei eine Synthese ein, die zugleich die Kraft und Singularität des Alten betonte und eine ganz neue akustische Welt eröffnete: Röhrenglocken, Rahmentrommeln, Tambura (Langhalslaute) und Gong wurden getrommelt, geklopft, gestrichen, mit Handflächen, Fingerkuppen, Filzschlegeln, Metallstäben und Besen bearbeitet. Auf Schleuderrohren mit verschiedenen Obertonreihen entstanden ganze Melodien.
Die unterschiedlichen akustischen Gegebenheiten in Altarraum, Mittelgang und Seitenschiff machten die »Raumgänge« hörbar: Bei der Eigenkomposition »Passatore« etwa schritt Christoph Haas mit einem Zupfinstrument afro-brasilianischen Ursprungs durch die ganze Kirche. Das »Enigma« für große Rahmentrommel solo erzeugte mit seinen langen crescendierenden Wirbeln hunderte klappernder Echos von der massiven Holzdecke und ließ auch die Kirchenbänke vibrieren.

Artikel vom 02.07.2005