27.06.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Claudia Tonns Pech lässt
Lilli Schwarzkopf hoffen

Olympionikin patzt - WM-Ticket für Klubkollegin in greifbarer Nähe

Aus Ratingen berichtet
Elmar Neumann
Ratingen (WV). Gesprungen, gerissen, gelandet, geweint. Das Mehrkampf-Meeting in Ratingen war erst zwei Disziplinen alt, da ließ Claudia Tonn ihren Emotionen freien Lauf. »Nach den 1,70 im Hochsprung war mir klar: Die Weltmeisterschaften in Helsinki finden ohne mich statt«, sagte die Siebenkämpferin und sie behielt Recht. Tonns Pech, Lilli Schwarzkopfs Glück. Bundestrainer Klaus Baarck verteilte am Sonntagabend zwei WM-Tickets an die Jahresbeste Sonja Kesselschläger und die Ratingen-Zweite Karin Ertl. Ticket Nummer drei wird nach der U 23-EM in Erfurt an Tonns LC-Kollegin oder die Leverkusenerin Christine Schulz vergeben.

»Diese Nachricht kommt für mich doch etwas überraschend. Ich war davon ausgegangen, dass in Ratingen mehr Athletinnen die Norm knacken und hatte mir nicht so große Chancen ausgerechnet«, sagte Lilli Schwarzkopf. Die 21-Jährige hat die Norm am letzten Mai-Wochenende im österreichischen Götzis erfüllt und befindet sich derzeit in der heißen Vorbereitungsphase auf die kontinentalen U 23-Titelkämpfe (14. bis 17. Juli). Konkurrentin Christine Schulz verletzte sich in Ratingen am Oberschenkel und kann nur hoffen, rechtzeitig zur EM wieder fit zu werden. Im Vorjahr war Schwarzkopf um vier Punkte am Athen-Ticket vorbeigeschrammt.
Vor zwölf Monaten vergoss Claudia Tonn Tränen der Freude, anno 2005 waren es am ersten Wettkampftag Tränen der Trauer. »Grottenschlecht« - ein O-Ton der Olympia-Zwölften reicht, um ihre Leistungen in den ersten vier Disziplinen einstufen zu können. Schon der Auftakt, 100 m Hürden, sollte als schlechtes Omen dienen. Nach verpatztem Start und einem Tritt in die erste Hürde musste sich die 24-Jährige mit indiskutablen 24,12 sek. (un-)zufrieden geben. Zur Erinnerung: Bei der Olympia-Qualifikation 2004 war sie an selber Stätte mit der persönlichen Bestzeit von 13,85 sek. in den Siebenkampf gesprintet.
Zweite Disziplin, zweiter Rückschlag: Im Gegensatz zu den 1,83 m im Vorjahr war diesmal bereits nach 1,70 m Schluss. 13 Zentimeter weniger bedeuteten vor allem auch fast 160 Punkte weniger. Eingedenk der 100 m Hürden, lag die Paderborner »Sportlerin des Jahres 2004« zu diesem Zeitpunkt bereits 200 Zähler unter Bestmarken-Niveau. »Schon im Training fehlte mir beim Hochsprung die Sicherheit. Daran hat sich im Wettkampf leider nichts geändert«, sagte Tonn und ließ Tränen sprechen. Trost gab's von Freund Stefan Drescher, allein die weiteren Leistungen am ersten Tag trugen nicht dazu bei, ihre Stimmung zu verbessern. Akzeptablen 12,11 m (Bestleistung: 12,51) mit der Kugel folgten 24,97 sek. (24,57) im abschließenden 200 m-Lauf. 3374 Punkte (3638) waren gleichbedeutend mit Rang sechs unter zwölf Teilnehmerinnen - das allerdings nur, weil in Person von Sonja Kesselschläger (Neubrandenburg) und bereits erwähnter Christine Schulz zwei Mitfavoritinnen die Segel verletzungsbedingt hatten streichen müssen.
Nach Tag eins im Kampf um die drei WM-Fahrkarten lag Tonn stolze 260 Zähler hinter der besten Deutschen, Karin Ertl von der LAC Quelle Fürth/München/Würzburg. Wie die Paderbornerin hatte auch Ertl die WM-Norm von 6100 Punkten bis Ratingen noch nicht erfüllt, während diese Marke von Sonja Kesselschläger (6221), Katja Keller (6130/Potsdam), Christine Schulz (6199) und Lilli Schwarzkopf (6146) einmal geknackt worden war. »Der einzige Vorteil ist, dass ich nach so einem miesen ersten Tag ganz ohne Druck in die restlichen drei Disziplinen gehen kann. Jetzt rechnet niemand mehr mit mir«, flüchtete sich Tonn in Zynismus.
Und tatsächlich: Aus diesem vermeintlichen Vorteil wurde ein wahrhaftiger. Mit neuer persönlicher Bestleistung im Weitsprung meldete sich die Olympionikin zurück. Erst nach 6,60 m landete sie im Sand, 14 Zentimeter später als jemals zuvor und gut genug, um in der Jahresbestenliste der deutschen Weitspringerinnen hinter Bianca Kappler (6,66 m/Rehlingen) Platz zwei zu belegen. Die WM-Norm in dieser Einzeldisziplin liegt bei 6,75 m - die Hoffnung war zurück: »Danach haben wir wieder etwas gerechnet, aber auch ein für meine Verhältnisse guter Speerwurf war nicht gut genug.« Nach 40,24 m (41,12) hätte Tonn über die 800 Meter ihre Bestzeit (2:09,41) schon um vier Sekunden verbessern müssen, um doch noch in die Nähe der Norm zu gelangen. Mehr als eine 2:09,80 war aber nicht drin und so reichte es letztlich »nur« zu 6054 Punkten und Platz drei hinter der Australierin Kylie Wheeler (6231 Punkte) und Karin Ertl (6163 Punkte).

Artikel vom 27.06.2005