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Ferkel zum
Anfassen und
gar keine Angst

Der Bauernhof als Klassenzimmer

Von Marion Neesen (Text und Fotos)
Fürstenberg (WV). Dass ein Ferkel ganz schön laut quieken und manchmal auch vor lauter Aufregung einem Schüler auf den Arm pinkeln kann -Êdas und eine ganze Menge mehr erfuhren gestern Schüler der Grundschule Fürstenberg. Mit ihnen startete der Westfälisch Lippische Landwirtschaftsverband im Kreis Paderborn auf dem Hof Herbst die Aktion »Landwirtschaft macht Schule«.

»Früher sind die Kinder mit der Milchkanne zum Bauern gegangen, oder haben beim Nachbarn mal in den Stall geschaut«, so Heinz Westkämper, Vorsitzender des Landwirtschaftlichen Kreisverbandes Paderborn, zum Hintergrund der Aktion, »heute wissen sie oft gar nichts mehr über Landwirtschaft und Lebensmittel, weil es alles im Supermarkt zu kaufen gibt.« Das soll im Kreis Paderborn nun anders werden. Insgesamt 24 Betriebe öffnen ihre Hoftore und werden zum Klassenzimmer. Hier lernen Schüler warum und wie eine Kuh Milch gibt, wie alt eine Sau wird und woher eigentlich Haferflocken und Pommes kommen. Die Kinder lernen Abläufe kennen und machen sinnliche Erfahrungen wie riechen, schmecken, sehen und fühlen.
Den Anfang machten gestern die Fürstenberger Viertklässler auf dem Hof Herbst. Richard und Petra Herbst halten hier Schweine und haben rund 120 Hektar Ackerland. »Wir haben selber Kinder und wenn es darum geht, Wissen zu vermitteln sind wir mit Spaß dabei«, sagt Richard Herbst. Während er den Schülern die kleinen Ferkel im Stall zeigt, erklärt Ehefrau Petra den Kindern den Unterschied zwischen Gerste und Raps. Auch Tochter Marie ist mit Eifer dabei, ihren Klassenkameraden die kleinen Ferkel zu zeigen. Petra Ahlers, Lehrerin der Viertklässler, kann der Aktion viel Positives abgewinnen: »Hier können wir Augen und Ohren für die Umgebung öffnen.«
»In den Dörfern hat sich viel verändert«, sagt auch Kreislandwirt Johannes Giesguth, »heute kann man die Landwirte an einer Hand abzählen.« Das und mangelndes Interesse sowie Verständnis für die Bauern machen er und Heinz Westkämper für das Wissens-Defizit verantwortlich -Êauch in so ländlichen Gebieten wie dem Kreis Paderborn.
Der Bauernhof als Klassenzimmer soll nun Kindern, aber auch Jugendlichen und Erwachsenen Antworten auf viele Fragen geben. Allen 66 Grundschulen des Kreises wurde das Konzept vorgestellt. Sie können sich nun aus 24 Betrieben einen Hof für ihren Unterricht aussuchen. »Das Ganze soll allerdings nicht den Charakter eines Ausflugs haben. Der Besuch wird in der Schule vor- und auch nachbereitet«, so Rita Rehring, Öffentlichkeitsreferentin des Landwirtschaftsverbandes. Sie hat festgestellt, dass Kinder in städtischen Gebieten oft sogar Angst auf einem Bauernhof haben und nur finden, dass es dort stinkt.
Neben der Veranschaulichung der Landwirtschaft soll aber auch deren Image wieder ein bisschen aufpoliert werden. »Für viele Menschen ist etwa der Begriff Massentierhaltung negativ besetzt. Dass es den Tieren aber heute durchaus viel besser geht als vor 50 Jahren und dass man Schweine auf begrenztem Raum auch artgerecht halten kann, wissen nur wenige«, unterstützt Kreisveterinär Dr. Klaus Bornhorst die Aktion Landwirtschaft macht Schule. »Wir wollen Schulklassen verantwortungsvolle und wettbewerbsfähige Landwirtschaft präsentieren, keine romantisierende Illusion einer guten alten Zeit«, sagt auch Heinz Westkämper.
Den Schülern in Fürstenberg hat es offensichtlich gefallen und schließlich gab es nachher auch Würstchen vom Grill für alle. Und in einem unterscheiden sich Paderborner Kinder dann doch von Stadtkindern: Angst hatte hier niemand.
www.wlv.de

Artikel vom 28.06.2005