27.06.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

»Chefs sollen
mehr nützen
als vorstehen«

Kloster-Andechs-Prior in Driburg

Von Michael Robrecht
Warburg/Bad Driburg (WB). Das Benediktinerkloster Andechs in Bayern, berühmt für Bier, Wallfahrt und Kunst, ist auch gut für praktische Lebenshilfe. Prior Anselm Bilgri hat die Ordensregeln des Heiligen Benedikt in das Arbeitsleben des 21. Jahrhunderts übertragen. Er will beweisen, dass Bestimmungen aus dem 6. Jahrhundert sich als Schlüssel zu den modernen Problemen durchaus eignen.

Auf Einladung des Arbeitgeberverbandes Hochstift sprach der durch TV-Auftritte und Bücher bekannte Ordensmann im Gräflichen Parkhotel in Bad Driburg zu den Geschäftsleitungen namhafter heimischer Firmen. Seine Kernaussagen: »Das rechte Maß finden«, »Mit dem Herzen zuhören und sich selbst erkennen«, »Als Chef mehr nützen als vorstehen« und »Miteinander ins Gespräch kommen«.
Der ehemalige Abtei-Manager Pater Anselm (Jahrgang 1953) weiß, wovon er spricht: Andechs ist ein kleines Wirtschaftsimperium mit 20 Millionen Euro Jahresumsatz. Anselm hat den Jahresbierausstoß von 60 000 Hektolitern 1986 auf 120 000 in 2004 verdoppelt. Hunderttausende pilgern jedes Jahr auf den Andechser Klosterberg.
Lebensfreude und die Ordensregel »Ora et labora« (Bete und Arbeite) sind aus Sicht des Bayern wie geschaffen für das Leben in der Wirtschaft. Pater Anselm, seit 1980 Priester, hat herausgefunden, dass die psychologischen Ratschläge Benedikts ganz modern sind. Eine werteorientierte Unternehmensführung müsse sich mit den heutigen Erfordernissen nicht behindern. Bilgri: »Die Entwicklungsdynamik heutiger Organisationen erfordert ein Umdenken in der Unternehmensführung. Der wesentliche Wachstumsfaktor für Firmen ist in Zukunft der Mensch. Neben modernen Managementmethoden benötigen Führungskräfte deshalb vor allem die Fähigkeit, Mitarbeitern ein optimales Umfeld für ständige Verbesserungen und Innovationen zu schaffen.« Dabei komme es auf menschliche Stärken an, auf gemeinsame Werte und eine gelebte Vertrauenskultur.
Immer wieder zitierte der langjährige Cellar (Wirtschaftsleiter der Klöster St. Bonifaz München und Andechs) den Heiligen Benedikt, nach dem sich auch der neue Papst aus Bayern, Benedikt XVI., genannt habe. Zur Führungskultur in einem Kloster gehöre der Gehorsam dem Abt gegenüber. »In Deutschland ist Gehorsam durch das Militär lange überstrapaziert worden. Gehorsam heißt aber viel mehr eifrig sein im Zuhören und die Verpflichtung Rat einzuholen«, erläuterte der Pater den Hochstift-Arbeitgebern (35 000 Mitarbeiter). »Erst zuhören, dann entscheiden«, so sein Hinweis.
Die Benediktregel der Demut bezeichnete er als »eine tolle Deeskalationstheorie«. Bei Gegenargumenten dürfe man nicht sofort abschotten und seine Argumente ins Feld führen, sondern man solle offen auf Fragen reagieren. »Das führt zum Miteinander!«, sagte Pater Anselm, der heute in München als Unternehmensberater tätig ist und seit 2004 nicht mehr in Andechs lebt. Demut heiße auch dienen. Benedikt fordere zudem, die Menschen nach ihren Fähigkeiten einzusetzen.
»Ein modernes Unternehmen soll sicher kein Kloster werden, aber die Klöster waren seit dem Mittelalter die Unternehmen schlechthin im Land. Und warum soll man heute erst nach Asien und nach Amerika schauen, wenn wir doch unsere eigenen Traditionen haben«, meinte der Ordensmann. Auch in Kloster Andechs habe er die Benediktregel erfolgreich wirtschaftlich angewendet, »wenn zum Beispiel ein Mitarbeiter die Einführung des Weizenbieres gegen die Mehrheit des Konvents gefordert hat und ich das als konstruktiven - und später erfolgreichen - Vorschlag angenommen habe.«
Pater Anselm wies darauf hin, dass bei einer Umfrage 76 Prozent der Führungskräfte den Werten eine zunehmende Bedeutung beigemessen haben. »95 Prozent der Chefs sehen Werte sogar als wirtschaftlich nutzbringend«, sagte Pater Anselm in Bad Driburg.

Artikel vom 27.06.2005