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Perfektes Wechselspiel von kleinen und großen Szenen

Freilichtbühne Bökendorf: Premiere von Molières Komödie »Der eingebildet(e) Kranke« erhielt viel Beifall

Von Wolfgang Braun
Bökendorf (WB). Mit stehenden Ovationen feierten die zahlreichen Besucher die Premiere von Molières Komödie »Der eingebildet(e) Kranke« am Samstagabend auf der Freilichtbühne Bökendorf.

Auch ein Weg, der Kostenexplosion im Gesundheitswesen Herr zu werden: Man verheiratet seine Tochter mit einem Arzt. Auf diese Möglichkeit eines brandmodernen Bezugs der Komödie, in der Moliere (1622 bis 1673) selbst bis zu seinem Tod (nach der vierten Aufführung) die Titelrolle spielte, wies Landrat Hubertus Backhaus in seiner Eröffnung der Erwachsenensaison auf der Freilichtbühne Bökendorf hin.
Doch Argan, ein Mann mit kerniger Gesundheit, dessen ganzes Denken und Leben trotzdem von vielen imaginierten Krankheiten, die ihn zu einer leichten Beute für geldgierige Quacksalbern werden lassen, beherrscht ist, hat letztlich keinen Erfolg, seine Tochter Angélique mit dem jungen Arzt Thomas Diafoirus zu liieren, denn die liebt ihren Cléante heiß und innig. Dass sie ihn auch bekommt, hat sie Toinette, dem Dienstmädchen des reichen Argan zu verdanken: In dem ganzen Wirrwarr von Schein und Sein, vor Heuchelei, Scharlatanerie und Vorspiegelung falscher Tatsachen, in die der »eingebildet(e) Kranke« verstrickt ist, ist sie die einzige, die den klaren Kopf, den Überblick und die Fäden in der Hand behält. Marion Bömmelburg verleiht der Rolle der Toinette Mutterwitz, Temperament und eine köstliche ironische Doppelbödigkeit. Sie ist - auch in ihrer sprechenden Mimik - Komödiantin reinsten Wassers. Michael Volmer spielt als Argan ebenso sein Talent zum Komischen voll aus.
Dass er trotz aller teuren Klistiere und Arzneien ernsthaft krank sein soll, man glaubt es ihm nicht. In einer in ihrer Publikumswirksamkeit grandiosen Szene versucht Argan seine Tochter Angélique (ganz die liebende junge Frau und Tochter: Julia Siebeck) mit dem als tölpelhaften Stutzer von Ralf Ahlemeyer hervorragend gespielten Thomas Diafoirus zu verloben. Wie gut die Inszenierung von Marianne Volmer ist, sieht man auch daran, dass hier wortlos, nur im Mimik und Gestik, zum Ausdruck kommt, dass Angélique und Cléante (Carsten Meier als jugendlicher Liebhaber) der als Musiklehrer verkleidet anwesend ist, ein Paar sind.
Toinette hatte diese Verkleidungsposse ebenso eingefädelt wie die Szene, die sich als Stunde der Wahrheit erweist: Das resolute Dienstmädchen überredet Argan sich tot zu stellen, sie kuriert Schein mit Schein, Farce mit Farce. Argans angeblich so treu sorgend um ihn bemühte Ehefrau Belinde (ergötzend damenhaft und zickig: Annette Wiemeyer) zeigt hier ihr wahres Gesicht und offenbart sich an seinem »Totenbett« als raffinierte Erbschleicherin. Sehr wirkungsvoll auch Thomas Rüther als Béralde, Argans Bruder, der ihn für die Rosstäuschertricks der Quacksalber und Apotheker die Augen öffnen will: »Du bist kerngesund. Das sieht man daran, dass Du all die Klistiere und Tinkturen bisher überlebst hast.« Der »Kranke« wird von seinem alles beherrschende Egoismus geheilt, er steht dem Eheglück seiner Tochter nun nicht mehr im Weg. Aber auf einen Arzt meint er trotzdem nicht verzichten zu können: In einer, den Bühnenraum phantastisch ausfüllenden und in ihrem Tempo hinreißenden Massenszene wird Argan in einer - von Moliere als Satire auf die Ärztezunft seiner Zeit angelegten - »Zeremonie« selbst in den Medizinerstand erhoben - mit dem Klistierbesteck als Zeichen seiner Macht und Würde. Der Erfolg der Inszenierung, die den Zuschauer bis zum letzten Moment in Atem hält, beruht nicht nur auf dem professionellen schauspielerische Können vieler Akteurinnen und Akteure. Sie beruht auch auf dem höchst gelungenen Wechselspiel von großen Szenen mit ihren vielen fast schon kabarettistischen, die Pharmaindustrie treffenden Regieeinfällen -Êund kleinen Szenen. Insbesondere ist der jungen Nicola Laugwitz zu danken, die mit ihrer flotten, musicalhaften Choreografie der Ballettszenen und Tänze hervorragende Arbeit geleistet hat: Auch am scheinbar unbedeutenden Detail hatte das Auge seine Freude. Für die Einrichtung des Bühnenchores konnte Burkhard Eilebrecht des Applauses sicher sein. Eine glanzvolle Inszenierung vor dem einfachen aber wirkungsvollen Bühnenbild von Reinhard Höke, an der alle ihren Anteil haben. Der Erfolg wird dem Stück in dieser Saison sicher sein.

Artikel vom 27.06.2005