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»Angst vor dem sozialen Absturz«

Gütersloher Ex-Rechtsanwalt (51) wegen Betruges und Untreue verurteilt

Von Wolfgang Wotke
Gütersloh (WB). Wegen Untreue und Betruges ist gestern der ehemalige Gütersloher Rechtsanwalt Andreas R. zu einer zweijährigen Gefängnisstrafe verurteilt worden. Er soll Mandantengelder unterschlagen und sich Kredite erschlichen haben. Der Schaden: rund 66 000 Euro.

Der 51-jährige Jurist, dem bereits im Herbst 2003 seine Zulassung wegen Vermögensverfall und fehlender Haftpflichtversicherung von der Anwaltskammer entzogen worden war, gab vor Richter Edmund Rammert offen zu, die vorgeworfenen Straftaten begangen zu haben. »1999 starb mein Vater, danach habe ich ein Haus von meiner Mutter gekauft, dann ging es mit meiner Anwaltspraxis bergab, ich hatte kaum noch Mandate. Meine Frau verlor ihre Arbeit, und meine finanzielle Situation wurde immer schlimmer«, versuchte sich der Angeklagte zu rechtfertigen. Seine Schulden bei seiner Hausbank seien dramatisch angewachsen. Er habe damals keine andere Möglichkeit gesehen: »Mein sozialer Absturz sollte nicht publik werden.« Sein aktueller Schuldenstand heute: »Rund 250 000 Euro.«
Andreas R. hat bei drei seiner Mandanten Regulierungssummen von Versicherungen auf sein Geschäftskonto fließen lassen und behalten. Angeblich, so der Beschuldigte, habe die Bank aufgrund seiner schlechten finanziellen Lage diese Gelder verrechnet und nicht ausgezahlt. Warum er denn als erfahrener Anwalt keine Fremdgeldkonten eingerichtet habe, wollte Edmund Rammert wissen, der sich daraufhin mit einer lapidaren Antwort zufrieden geben musste: »Daran habe ich einfach nicht gedacht.«
In weiteren neun Fällen soll sich der Ex-Jurist, der nach eigenen Angaben bei einer Spedition als Nahverkehrsfahrer und als Bürokraft eine neue Existenz aufbauen will, Prozesskostenvorschüsse zu unrecht eingefordert und bei Freunden, Bekannten und einer Mandantin Geldbeträge in erheblicher Höhe geliehen haben, ohne diese zurück zu zahlen. Bei einer älteren Geschädigten soll er sich Darlehen in Höhe von insgesamt 51 000 Euro unter Vorspiegelung falscher Tatsachen erschlichen haben. Er gab stets an, das Geld dringend für die Rückerlangung seiner Anwalts-Zulassung zu gebrauchen. Er legte sogar einmal ein gefälschtes Schreiben der Anwaltskammer vor, um so seinem Anliegen Druck zu verleihen. Und: er versprach immer, das jeweils erhaltene Darlehen durch eine Lebensversicherung abzusichern. Die war aber längst an ein Kreditinstitut abgetreten. »Das hatte ich ganz vergessen.«
Oberstaatsanwalt Reinhard Baumgart sagte in seinem Plädoyer, dass die Situation von R. schleichend vor sich gegangen sei und dass sie später erst ein strafbares Gesicht bekam. Trotzdem habe er regelrecht getäuscht und das mit Vorsatz. Außerdem habe der Angeklagte das Vertrauen der Bevölkerung in den Anwaltsberuf missbraucht. Er forderte zwei Jahre Haft, die zur Bewährung ausgesetzt werden können. Immerhin sei er nicht vorbestraft und habe in dieser Verhandlung ein Geständnis abgelegt.
Verteidiger Gerhard Proske appellierte an eine zweite Chance zur Wiedergutmachung: »Die hat er verdient, denn wenn man diesen Fall nachvollzieht, dann wird deutlich, dass es sich um eine Kette von Straftaten handelt, die aus einer katastrophalen finanziellen Situation heraus entstanden sind.« Das Gericht kam der Forderung des Oberstaatsanwaltes nach. R.: »Ich entschuldige mich bei allen Geschädigten.«

Artikel vom 25.06.2005