18.06.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Das Wort zum Sonntag

Von Jugendreferent Klaus-Peter Hüsemann


Jungscharstunde, die Kinder sitzen erwartungsvoll in einem Stuhlkreis. In dieser Stunde soll das Thema Freundschaft behandelt werden. Zur Einstimmung in das Thema hat sich der Gruppenleiter ein Spiel überlegt. Der Spielleiter fordert einen Teilnehmer auf, mit ihm einige Runden im Kreis zu gehen. Während sie gemeinsam im Kreis umherlaufen, sagt der Spielleiter: »Ich und du, wir beide sind Freunde. Was wir tun, das tun wir gemeinsam, und was wir sehen, nehmen wir mit.«
Der Mitspieler muss die Sätze des Spielleiters genau nachsprechen. Danach nimmt der Spielleiter einen Gegenstand und gibt ihn dem Mitspieler zum Tragen. Auf diese Weise bekommt der Mitspieler immer mehr aufgeladen. Das geht solange, bis er merkt, dass er alles alleine tragen muss.
Dies widerspricht den Aussagen des Spielleiters. Und dieses widerspricht auch dem biblischen Wort, das uns durch die neue Woche begleiten wird: »Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.« Dieses Wort hat der Apostel Paulus an die Christen in Galatien geschrieben. Und er möchte es auch uns ans Herz legen, noch besser ins Herz schreiben.
In dem Pauluswort ist von Lasten die Rede. In einem Lied heißt es: »Lasten gibt es genug, jeder trägt sein Paket von den Sorgen und Ängsten der Zeit; es gibt Arbeit, die über die Kräfte geht, es gibt Angst, Hass und Lieblosigkeit.« Lasten gibt es genug: Da ist die Last einer körperlichen, seelischen oder geistigen Behinderung, da ist die Last einer unheilbaren Krankheit, das ist die Last einer kaputten Beziehung. Da ist die Last von Verfehlungen, von Versagen, die Bürde der Vergangenheit, die man nicht los wird.
Wie gehen wir mit der Last des anderen um? Belasten wir den anderen noch mehr? Sehen wir zu, wie der andere unter seinen Lasten zusammenbricht? Distanzieren wir uns von dem Mitschüler oder der Mitschülerin, die durch ihr Versagen die Klassengemeinschaft aufs Spiel gesetzt hat?
Wir werden von Paulus zum Mittragen der Lasten des anderen aufgerufen. Wenn es im Alltag um das Teilen von Freuden geht, sind wir dabei. Aber Lasten tragen? Selbstverwirklichung ja, aber Nächstenliebe verwirklichen nein! Paulus würde uns sagen: Stellt euch Christus vor Augen. Folgt seinem Beispiel. Sein Leben, Reden und Handeln kann man in einem Wort zusammenfassen: Liebe! Lastenabnehmen ist Liebe.
Ein Herz für den anderen haben, sich die Not eines anderen zu eigen machen, sich jemandes annehmen, Verantwortung für den anderen übernehmen. Geben wir den anderen durch unser Mittragen anderer Lasten, Antwort auf das Mittragen unserer Lasten. »Er nahm uns von den Lasten das schwerste Stück: Er trug unsere Schuld, und dabei machte er unsere Hände und unseren Blick für die Lasten des anderen frei.«
Das Tragen und Mittragen von Lasten kann eine Art sein, Christus zu bezeugen. Franz von Assisi beschreibt in seinem Gebet »O Herr mache mich zu einem Werkzeug deines Friedens«, wie das Tragen von Lasten aussehen kann: dass ich Liebe übe, wo man sich hasst, dass ich verzeihe, wo man sich beleidigt, dass ich ein Licht anzünde, wo die Finsternis regiert...! In dem christusähnlichen Verhalten wird unser Christenleben erkannt und praktisch. Gerade, wenn wir uns umschauen, wo Lasten anderer zu tragen sind, vergehen uns Selbstruhm und Eigensinn. Denn was müssen die anderen alles an uns tragen und ertragen?

Artikel vom 18.06.2005