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Zwei Kinder pro Familie sollen Durchschnitt sein

»Demographischer Wandel -ÊHerausforderung für die Menschen im Kreis Höxter«

Von Frank Spiegel
Kreis Höxter (WB). Das stetig steigende Durchschnittsalter der Deutschen hat wenig mit der steigenden Lebenserwartung zu tun, es liegt in erster Linie an der niedrigen Geburtenrate. »Da sind wir Weltmeister«, erklärte Professor Herwig Birg gestern vor 210 Vertreterinnen und Vertretern aus Politik, Wohlfahrtsverbänden, Gesundheitswesen, Kirchen und Wirtschaft beim vom Kreis ausgerichteten Symposium zum Thema »Demographischer Wandel -ÊHerausforderung für die Menschen im Kreis Höxter«.

Professor Birg hat den Lehrstuhl für Bevölkerungswissenschaft an der Universität Bielefeld inne und ist geschäftsführender Direktor des Instituts für Bevölkerungsforschung und Sozialpolitik (IBS) der Universität Bielefeld. Brutal realistisch machte er deutlich, wohin die gegenwärtige Entwicklung führt: Wenn im Jahr 2050 noch 70 Prozent des Lohns im Arbeitsleben als Rente ausgezahlt werden sollten, müssten nach seinen Berechnungen 46 Prozent an Beiträgen gezahlt werden.
Bliebe es bei den gegenwärtig 20 Prozent, blieben 30 Prozent vom bisherigen Lohn. »Das ist weniger als Sozialhilfeniveau«, sagte der Hochschullehrer.
Gehandelt werden müsse jetzt, die Früchte ließen sich aber frühestens in 30 Jahren ernten, denn: »Nichtgeborene können bei bester Familienpolitik nicht die Kinder bekommen, die notwendig wären, um das Problem zu lösen.« Zwei Kinder pro Familie müssten der Durchschnitt sein. Im Kreis Höxter liege der derzeitig errechnete Durchschnitt bei 1,6 Kinder pro Frau.
Mit Geld sei dem Thema nicht beizukommen. »Man muss in den Köpfen etwas ändern, eine kulturelle Revolution auslösen«, meint der Bielefelder, der auch auf das Problem der Einwanderung einging. Es gebe durchschnittlich 800 000 Zuwanderungen jährlich mit einer Aufenthaltsdauer von im Schnitt zehn Jahren. Für 500 000 Menschen müssten Integrationsaufwendungen betrieben werden. Deutschland lasse so weitaus mehr Menschen in sein Gebiet, als die klassischen Einwanderungsländer. Auch anhand der Zahlen der Asylbewerber stellte Professor Birk fest: »Es gibt kein weltoffeneres Land als Deutschland.« Doch weder durch Einwanderer noch Asylbewerber werde das Durchschnittsalter gesenkt.
»Wenn eine Gesellschaft feststellt, dass ihre stärkste Bevölkerungsgruppe über 70 Jahre alt ist, dann muss sich radikal etwas ändern, wenn sie nicht auf die Nase fallen will«, erklärte der Fachmann.
Das sei eine Aufgabe für die 13 800 Gemeinden in Deutschland.
Landrat Hubertus Backhaus hatte in seiner Begrüßungsansprache zuvor kritisiert, dass das Problem in den vergangenen 30 Jahren zu sorglos behandelt worden sei. Das 1969 propagierte »Mehr Demokratie wagen« habe schließlich zu einer Ausuferung des Sozialstaates geführt. Backhaus: »Da dieser Prozess schleichend vonstatten ging, wurde er kaum wahrgenommen.
Der Staat regelte ja für den Einzelnen fast alles.« Seit 15 Jahren werde nun versucht gegenzusteuern, allerdings mit den gleichen Methoden: noch mehr Gesetze, noch mehr Regeln, noch mehr Steuern, noch mehr Bürokratie.
Anerkannte Fachleute betrachteten die Thematik unter anderem unter Gesichtspunkten von Gesundheit und Tourismus, Bildung und Qualifizierung sowie Wirtschaft und Arbeit.

Artikel vom 18.06.2005