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Subtile Sicht auf Kriegs-Grauen

Pulitzer-Preisträgerin Anja Niedringhaus trägt sich ins Goldene Buch ihrer Heimatstadt ein

Von Wolfgang Braun (Text)
und Harald Iding (Fotos)
Höxter (WB). Sie ist die erste deutsche Fotografin, die mit dem Pulitzer-Preis - dem Oscar für Journalisten und Autoren - ausgezeichnet wurde. Nach Persönlichkeiten wie Altbundespräsident Roman Herzog und Ex-Außenminister Klaus Kinkel trug sich deshalb gestern die Bildjournalistin Anja Niedringhaus (39) ins Goldene Buch der Stadt Höxter ein.

Die Höxteranerin gehört zu der Gruppe von 10 Journalisten der Nachrichtenagentur Associated Press (AP) die für Bilder aus dem Irak-Krieg mit diesem höchst begehrten Preis geehrt wurde: »Darunter sind auch Iraker, die ich selbst ausgebildet habe. Darüber freue ich mich besonders«, erzählt Anja Niedringhaus, die diese Auszeichnung als Anerkennung für ihre fünfzehnjährige Arbeit versteht. Preiswürdig waren zwanzig Bilder, aufgenommen bei den Kämpfen um Falludscha im Herbst vergangenen Jahres. Die Journalistin, die seit 1990 beeindruckende Fotos aus fast allen Krisenregionen der Welt geliefert hat, wurde schon mehrfach ausgezeichnet. Das Museum der Modernen Kunst in Frankfurt widmete ihrer Arbeit eine vielbeachtete Schau.
Bürgermeister Hermann Hecker gab seiner Freude Ausdruck, dass Anja Niedringhaus, obwohl sie berühmt geworden sei, den Kontakt zur ihrer Heimatstadt nicht abreißen lasse: »Wir sind in Höxter stolz auf Sie«, betonte er. Und: »Ihr Auto führt immer noch das Kennzeichen HX«, sagte er. »Und mein Motorrad auch«, fügte sie hinzu.
Dem feierlichen Akt des Eintrags ins Goldene Buch ging voraus, dass die geladenen Gäste die Fotoreporterin über ihre Arbeit befragen konnten. Moderiert wurde das Gespräch von Ludger Haferkemper, Lehrer am König-Wilhelm-Gymnasium, wo sie 1986 das Abitur abgelegt hatte (»nach einer Ehrenrunde in der 8. Klasse«). Bei der Schilderung ihres Werdegangs ging sie besonders auf ihre Zeit als freie Mitarbeiterin beim Göttinger Tageblatt während ihres Studiums ein. »Dort habe ich bei dem Fotograf Ingo Bulla mein Handwerk erst richtig gelernt«, blickt sie auf ihre Lehrzeit zurück. Bulla war bei dem Festakt anwesend.
Sie kam 1990 zur Deutschen Presseagentur (dpa). Ihre ersten Auslandseinsätze waren in Ländern des ehemaligen Ostblocks. Den Krieg auf dem Balkan beobachte sie seit seinem Aufflammen in Slowenien. Mehrere Jahre arbeitet sie im umkämpften Sarajevo. Der 1. Golfkrieg, der Kosovo, Mazedonien, Afghanistan waren weiteren Stationen. 2002 wechselte sie zu Associated Press. In Bagdad baute sie für diese Agentur ein Redaktionsbüro auf.
Ob sie angesichts des Grauens, das sie in all den Jahren gesehen hat, nicht abgestumpft sei, wollten viele wissen. Ihre Antwort: »Ich bin jetzt davon noch genau so betroffen, wie ich war, als ich zum ersten Mal den Krieg erlebte.« Es sei auch nicht ausschlaggebend, dass eine ganz besonderes schwere Bombe eingeschlagen sei, die besonders viele Opfer gefordert habe. »Das Entsetzen kommt oft später. Wenn man noch in der Situation steht, muss man sich zu sehr auf die Arbeit konzentrieren. Noch schockierender als die Szenen der Gewalt sind oft die in den Krankenhäuser danach, wenn den Ärzten die Medikamente oder die Geräte fehlen, um zu helfen.«
Es ist vor allem die Sensibilität und die große menschliche Nähe, die ihre Aufnahmen auszeichnen. Von Haferkemper darauf angesprochen, dass ihren Fotografien künstlerische Qualität nachgesagt werde, blieb sie skeptisch: «Damit hätte ich Probleme, zu sagen, das ist Kunst. Es ist einfach meine Sichtweise, die in den Bildern zu Ausdruck kommt.« Früher habe sie geglaubt, durch ihre Bilder die Welt verändern können, mittlerweile sehe sie das realistischer.
Ihre Arbeit im Irak wird sie beenden, weil sie angesichts der immensen Gefahren nicht mehr frei arbeiten kann. Dem Friedensprozess dort gibt kaum Chancen: »Es wird immer schlimmer.« Im Spätsommer wird sie im Gaza-Streifen im Einsatz sein. Mit den Gefahren in Kriegsgebieten geht sie mit professioneller Routine, mit viel Erfahrung und wachsender Vorsicht um. Trotzdem fragt ihre Mutter Heide-Ute Niedringhaus-Schulz: »Wann hat diese Angst ein Ende?« Die Antwort: »Vielleicht in zwanzig Jahren.«

Artikel vom 16.06.2005