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Theater wie vor 300 Jahren

Molières »Scanarell« als Geschenk an die Versmolder

Versmold (mh). Der französische Dramatiker Molière lebte im 17. Jahrhundert, als Theaterstücke oftmals noch von Wanderbühnen auf den Marktplätzen aufgeführt wurden - eine Tradition, die heute von der »Canaillen-Bagage«, einer Bielefelder Theatergruppe, fortgeführt wird. Und so erlebten einige Versmolder auf Einladung des Kunstkreises am Freitagabend Freilufttheater mit ganz eigenem Flair.

Und abgesehen von den elektrischen Scheinwerfern hatte man tatsächlich den Eindruck, in eine andere Zeit versetzt zu sein: Die einfache, kleine hölzerne Bühne, der improvisierte grüne Vorhang und die historischen Kostüme hätten auch vor 300 Jahren verwendet werden können.
Und auch der fiktive Rahmen war Molières Zeiten angepasst: Die »Canaillen-Bagage«, wie sie ja im »richtigen Leben« heißt, trat nämlich als die »Spiegelbergsche Comödiantengesellschaft« auf. Und die Zuschauer bekamen einen Eindruck davon, dass der technische Ablauf früher häufig nicht so reibungslos klappte wie heute: Die Leiterin der Gruppe, Frau von Spiegelberg, sei noch beim Bankier, erklärten die ersten eingetroffenen Schauspieler dem erwartungsvollen Publikum, um die Erlaubnis zum Auftritt zu bekommen. Desweiteren seien die beiden Schauspieler mit dem Kulissenwagen leider noch nicht eingetroffen. So musste das Publikum zunächst mit Musik und Improvisation unterhalten werden.
Als die beiden letzten Schauspieler schließlich eintrafen, mussten sie gestehen, von Betrügern ihrer ganzen Habe beraubt worden zu sein. Das bedeutete beinahe die Spaltung der Gruppe - doch sie rissen sich am Riemen und spielten eben ohne Kulisse und Kostüme, und damit begann schließlich das eigentliche Theaterstück: »Scanarell, oder der Hahnrei in der Einbildung«, das, wie könnte es anders sein, von Molière stammt. Ein kleines Amulett mit einem Portrait sorgt dabei für einige Verwirrung, in deren Zuge gleich zwei Liebesbeziehungen zu zerbrechen drohen, da auf Grund von schrecklichen Missverständnissen ein Ehepaar und ein Liebespaar sich jeweils gegenseitig Seitensprünge vorwerfen.
Die acht Schauspieler der »Canaillen-Bagage« lieferten dabei eine derb-witzig inszenierte und gespielte Leistung ab, die die herrlich gezeichneten Charaktere effektvoll zur Geltung kommen ließ. Die Zuschauer, die extra gekommen waren, lachten und applaudierten ebenso begeistert wie die Passanten, die vor der Bühne »hängen geblieben« waren.
»Genau das ist unser Ziel«, erklärte Ulrike Poetter, Vorsitzende des Kunstkreises. »Wir wollen den Marktplatz als kulturellen und gesellschaftlichen Treffpunkt publik machen, wie es zu der damaligen Zeit ja üblich war.« Gesponsert wurde das für die Zuschauer kostenlose Spektakel von der Stiftung »Standort hier« der Stadtsparkasse Versmold, die bei schlechtem Wetter auch das Foyer zur Aufführung bereitgestellt hätte. Das war allerdings nicht nötig. Zwar wurde es im Laufe des Abends kühl, aber es fiel kein Regen und so waren die Bankreihen auf dem Marktplatz gut besetzt.
Die Zuschauer konnten die einmalige Atmosphäre des Freilufttheaters voll genießen: Die Weitläufigkeit des Platzes, so dass die Schauspieler aus allen Richtungen auftreten konnten, die Improvisation der Schauspieler, die die Umgebung mit einband, oder Amseln, die zur richtigen Stelle zu singen ansetzten. Passierende Autos blieben stehen, Kinder wurden ebenso angezogen wie erwachsene Passanten.

Artikel vom 13.06.2005