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Ein Besucher, ganz vertieft in Lovis Corinths Gemälde »Im Schutz der Waffen« von 1915.

Der Held, bewaffnet
aber verwundbar

»Heroes«: Rundgang durch die Galerien - Teil 1

Von Ruth Matthes (Text)
und Jörn Hannemann (Fotos)
Herford (HK). Über die »Wunderkammer« in der zentralen MARTa-Halle mit den »private Heroes« von Jan Hoet ist schon viel geschrieben worden. Deshalb möchte das HERFORDER KREISBLATT nun den Blick auf die weiteren Galerien richten, die sich dem Thema »das Bild des Helden in der Kunst« aus verschiedenen Blickwinkeln nähern. In einer losen Folge wird der Rundgang fortgesetzt. Er beginnt in der so genannten »Rüstkammer« der Ausstellung.

»Wir haben hier alles vereint, was dem Held sein kämpferisches Aussehen verleiht«, sagt Kurator Dr. Michael Kröger. Den gezeigten Künstlern gehe es aber nicht nur um den bewaffneten Helden, sondern auch um den entwaffneten, der sich in seiner Verletzlichkeit zeigt -Êso wie der Sagenheld Siegfried in Jonathan Meeses Installation oder die zwei starken Männer, denen Sam Taylor-Wood den empfindsamen Titel »Don't Touch me!« gegeben hat.
Das Spektrum der Gerüsteten und Kämpfenden ist groß: Da sind so unterschiedliche Arbeiten wie die altmeisterliche Allegorie »L'Imagination« von Jules-Claude Ziegler (1804) und Andrea Serranos Bodybuilderin (1998). Da sind die abstrakten Banner-Entwürfe der russischen Avantgardistin Antonina Sofronowa (1922) und Georg Baselitz' figürlich-expressive Künstler-Darstellungen (1965).
Während Zieglers Allegorie von einer Jeanne d'Arc ähnlichen Frauenfigur verkörpert wird, die über den Portraits der Renaissance-Genies Dante, da Vinci und Raffael thront, zeigt Andrea Serrano eine Frau von heute, die ihren Körper zum Panzer umfunktioniert hat. Wie Antonina Sofronowa die Kunst und das Design revolutionierte, so war Baselitz einer der ersten, die es nach dem Krieg wagten, sich künstlerisch mit der deutschen Vergangenheit und dem Tabu-Thema Held auseinander zu setzen. Seine Gemälde »Ein Versperrter« und »Versperrter Maler« erinnern an verwundete Kämpfer aus dem Vietnamkrieg. »Doch sie sollen vor allem die Situation der Künstler im geteilten Deutschland thematisieren«, so Hoet.
Hier wie in der gesamten Ausstellung ist die Spannung zwischen Held und Anti-Held greifbar. Am deutlichsten wird sie direkt an den beiden Eingängen zur Rüstkammer. Der Besucher läuft auf zwei Wände zu, die Rudolf Herz errichtet hat. Unter dem Titel »Zugzwang« hat er Schachbrett-artig Portraits des Kunst-Revolutionärs und -Helden Marcel Duchamp denen des Anti-Helden und Verfolgers der »entarteten Kunst«, Adolf Hitler, gegenüber gestellt. Beide wurden zufällig von Heinrich Hoffmann, fotografiert Duchamp 1912 und Hitler Ende der 20-er Jahre. Herz konfrontiert die »heimlichen Antagonisten der Kunst des 20. Jahrhunderts«, wie er sie nennt, miteinander und setzt den Betrachter unter »Zugzwang«, er kann den Fotos nicht entkommen. »Diese Installation gehört zu den meist diskutierten Arbeiten«, berichtet Kuratorin Veronique Souben. »Viele Menschen verstehen zunächst nicht, was Hitler in einer Helden-Ausstellung zu suchen hat, aber es geht uns eben auch um die kritische Auseinandersetzung mit historischen Gestalten, die sich zu ihrer Zeit als Held feiern ließen.«
»Erstaunlicherweise ist ÝChe GuevaraÜ noch heute für viele ein Held, obwohl er Kommunist war«, hat Hoet festgestellt. Gavin Turk hat eine Wachsfigur des Revolutionärs geschaffen, die den Kopf Ches trägt, wie er auf vielen T-Shirts prangt. »Dadurch, dass er ihm auch einen Körper gegeben hat, dessen Arme mit einer Pistole auf den Betrachter zielen, wird seine Gewalttätigkeit deutlich«, erklärt Souben.
Diese Brüchigkeit des Heldenbildes findet sich im Raum immer wieder: bei den Bodybuilder-Arbeiten ebenso wie bei Christian Boltanskis »heroischer Komposition«, die darin besteht, dass er einen Spielzeug-Indianer fotografisch vergrößert hat. In seiner Über-Inszenierung beinahe lächerlich wirkt Lovis Corinths Ritter im Gemälde »Im Schutz der Waffen«. Auf die Spitze getrieben hat diese Überzeichnung de Chirico, der sich in seinem skurrilen Selbstbildnis als Frau darstellte, »eine höchst ironische Auseinandersetzung mit der Kostümierung eines Helden«, findet Kröger.
Auf die Korrespondenzen zwischen den Werken weist Pressesprecher Nils Vandré hin. So findet sich nahe der Bodybuilderin eine ganz andere weibliche Schutzbekleidung. Sie stammt von der Designerin Ann Demeulemeester, die eine Kombination aus Pelz, kettenhemdartigem Rock und Lederstiefeln geschaffen hat. Das Modell gehört zur »Lieblingsecke« von Veronique Souben. Es ist umgeben von zwei Kunstwerken, die sich mit alten Kulturen beschäftigen: das Fries mit den Idolen »Sheela, Athena, Hittie« von Nancy Spero und das Gemälde »Initiation á la Parure« von Victor Brauner. Weitere Beziehungen ergeben sich zwischen Marcel Broodthaers Gewehr, das aus Knochen zu bestehen scheint, und den roten und schwarzen Äxten von Beuys, dem »Cyborg« von Lee Bul und dem Alien-artigen »flämischen Krieger« von Jan Fabre.

Artikel vom 11.06.2005