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Betrug: Rechtsanwalt (43) verhaftet

Bis heute 430 000 Euro Schaden - Wichtiger Zeuge ist spurlos verschwunden

Von Wolfgang Wotke
Gütersloh (WB). Der Gütersloher Rechtsanwalt und Berufsbetreuer Olaf O. sitzt in Untersuchungshaft. Der 43-jährige Familienvater wurde am Dienstagnachmittag vor seiner Kanzlei in der Friedrich-Ebert-Straße festgenommen. Er soll Mandantengelder seit mehr als fünf Jahren unterschlagen haben. Der Vermögensschaden soll sich auf rund 430 000 Euro belaufen.

»Wir stehen aber erst am Anfang unserer Ermittlungen«, sagte gestern Oberstaatsanwalt Harald Krahmüller dieser Zeitung (das WESTFALEN-BLATT hatte im Februar erstmals über diesen Fall exklusiv berichtet). Bislang habe man erst 25 Prozent der Akten und Dokumente gesichtet und auswerten können. Die waren am 1. Februar bei einer Razzia der Polizei in der Kanzlei von Olaf O. beschlagnahmt worden. Damals fuhren die Beamten mit einem 7,5-Tonnen-Lkw vor und trugen unzählige Papiere aus den Büros. Auslöser der Polizeiaktion waren zahlreiche Strafanzeigen, manche auch anonym. Dabei fielen den Ermittlern stapelweise unterschriebene Blanko-Quittungen von betreuten Personen in die Hände.
Der Gütersloher Anwalt fiel auch dem Landesrechnungshof (LRH) auf. Nach einer Prüfung soll O., der in erster Linie als Berufsbetreuer arbeitete, 2001 und 2002 mehr als 400 000 Euro von der Justizkasse des Landes Nordrhein-Westfalen erhalten haben. Vor allem die Vielzahl unplausibler Zeitansätze machte den LRH stutzig.
Nach Recherchen dieser Zeitung soll Olaf O. knapp 100 Menschen betreut haben. So wirft ihm die Bielefelder Staatsanwaltschaft auch noch vor, Gelder ihm anvertrauter Personen unterschlagen zu haben. Harald Krahmüller: »Es wurden verschiedene Warenlieferungen sowohl an seine Büroanschrift als auch an seine Privatadresse über Betreute abgerechnet. Das gilt auch für eine Vielzahl von Leistungen, die Handwerker in seinem Privathaus durchgeführt haben.« Kripo und Staatsanwalt haben herausgefunden, dass Olaf O. raffiniert und hinterlistig die Konten der entmündigten Menschen, die er betreute, geplündert habe. Er soll Quittungen und Schuldscheine gefälscht haben. So soll der Beschuldigte die Abhebungen und Überweisungen legitimiert haben.
Schwere Anschuldigungen erhebt auch der 49-jährige Ingolf Wendorff aus Harsewinkel-Greffen: »Er macht falsche Aussagen, betrügt Stadtverwaltungen und Gemeinden sowie Mieter, um sich finanzielle Vorteile zu verschaffen«, beteuert der ehemalige Betreute, der zusammen mit seinem Bruder in einem Haus von O. zur Miete wohnt und einst für O. als Hausmeister gearbeitet hat. Zurzeit laufe eine Räumungsklage gegen ihn. Wendorff: »Wir haben Angst.« Deshalb hat er sich aus alten Fernsehgeräten und Video-Kameras ein Überwachungssystem gebastelt. »Meinen Kameras entgeht nichts. Wir wissen ganz genau, wann der Rechtsanwalt vor unserer Türe steht und mal wieder für Ärger sorgen will.« Sein Rechtsanwalt Jens U. Kutzner aus Bielefeld verspricht: »Ich vertrete auch noch andere geschädigte Personen. Wir werden mit allen juristischen Möglichkeiten gegen den in U-Haft sitzenden Beschuldigten vorgehen.«
Nach Informationen des WESTFALEN-BLATTes soll Olaf O. mittlerweile mehr als 20 Immobilien im Kreis Gütersloh besitzen (Wendorff: »Das kommt hin.«), in denen er teilweise seine betreuten Personen untergebracht hat. Selbst die Betriebskostenabrechnungen dieser Objekte sollen fehlerhaft sein. Das bestätigt auch die Staatsanwaltschaft. Beispiel: In einem Wohnhaus in Harsewinkel an der August-Claas-Straße »haust« ein junger Mann in einem Heizungskeller, der ebenfalls von Olaf O. seit einigen Jahren betreut wird. Nachbarn berichten, dass der Gütersloher Anwalt für diese menschenunwürdige Unterkunft bis zu 280 Euro kassiert haben soll.
Übrigens: ein wichtiger Zeuge im Strafverfahren gegen O. wird von der Polizei dringend gesucht. Doch der Mann ist seit mehreren Monaten spurlos verschwunden. Ingolf Wendorff: »Der hat mich immer wieder besucht. Jetzt ist er weg. Warum wohl?« OWL-Seite

Artikel vom 10.06.2005