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Von Michael Robrecht

Diese
Woche

Ausbildungs-Misere


Es ist schon beeindruckend, mit wie viel Enthusiasmus die jungen Brakeler Abiturienten ihre Schullaufbahn beenden und ins Berufsleben starten. Mit 19 hat man noch Träume - siehe Bericht oben. Doch nicht alle Reifegeprüften im Kreis Höxter haben eine Perspektive wie Studium, Ausbildungsstelle oder Auslandsaufenthalt. Ihnen gilt richtigerweise in diesen Wochen der besondere Augenmerk der Verantwortlichen. Nach den aktuellen Ausbildungsmarktdaten der für den Kreis zuständigen Agentur für Arbeit in Paderborn bedarf es noch großer Anstrengungen, um allen Jugendlichen der Region - überwiegend Haupt- und Realschülern - eine Lehrstelle anbieten zu können.
Ende Mai waren im Hochstift bei der Berufsberatung noch 2 000 Ausbildungsstellen suchende Frauen und Männer gemeldet; aber nur 650 unbesetzte Lehrstellen standen dieser Nachfrage gegenüber. Angebot und Nachfrage klaffen also weit auseinander - ganz im Bundestrend. Auf den Kreis Paderborn entfielen Ende Mai 1 400 unversorgte Bewerber und 400 unbesetzte Ausbildungsstellen (Verhältnis Bewerber je Stelle 3,5 zu 1), im Kreis Höxter waren es rund 580 unvermittelte Jugendliche und 250 freie Ausbildungsplätze (Verhältnis Bewerber je Stelle 2,3 zu 1). 580 junge Menschen ohne Lehrstelle. Das ist zuviel.
Was die nackten Zahlen für viele Jugendliche tatsächlich bedeuten, machte eine auch für unsere Region exemplarische TV-Reportage in dieser Woche deutlich: Auf dem Tisch eines Lehrerzimmers liegt ein Stapel Abschlussfotos einer Haupt- und einer Realschulklasse. Der Blick der Schüler in die Kamera ist unsicher, die Aussicht auf die Zukunft ungewiss. Die Schule ist aus - doch gerade mal vier von vierzig Schülern haben einen Ausbildungsplatz. Eigentlich ist der Juni die Zeit von Abschlussfahrten und Abschiedsfeten, doch die Feierlaune ist - auch bei vielen Absolventen im Kreis Höxter - gedämpft (Galgenhumor: »Die Schule ist aus und du bist raus!«). Nach zehn Jahren »Penne« sind massenhafte Absagen für viele die erste Erfahrung mit der Berufswelt. 20, 30 und mehr Bewerbungen sind heute keine Seltenheit. 20 oder 30 Absagen auch nicht.
Immer mehr Gymnasiasten drängen in Realschulberufe, die Realschüler in die Hauptschülerjobs. Das ist Druck von oben nach unten. Mit Hauptschul-Abschluss ist wie ohne Abschluss, klagen viele Hauptschüler. Klasse 10 Hauptschule ist heute kaum noch etwas wert, bedauern Lehrer. Arbeiten, die einst vor allem Hauptschüler (ganz früher Volksschüler) erlernten (Fabrikproduktion, technische Berufe) werden immer mehr im Ausland verrichtet.
Und nun? Was für viele bleibt, ist die Suche nach einem Praktikum oder die Flucht auf weiterführende Schulen. Eine Generation ohne Zukunft? So schlimm ist es noch nicht. Es wird ja etwas getan: Ausbildungspakt, Klinkenputzen von Arbeitsagentur und Politikern. Es ist grundsätzlich gefährlich, dass Jugendliche mit 16 keine Perspektive haben. Das Gefühl zu bekommen, nicht gebraucht zu werden, kann einen Lebensweg knicken.
Letztlich liegt zurzeit viel daran, dass die schlechte ökonomische Lage die Zahl der Ausbildungsplätze niedrig hält. Doch das ist nur ein Problem: Auch die Ausbildungsfähigkeit von Jugendlichen muss verbessert werden (Pisa!). Zudem brauchen wir eine engere Verzahnung von Schule und Berufsleben; auch theorieschwächere Jugendliche benötigen eine Chance. Mit Abi in die Friseurlehre? Nein! Das ist nicht die Perspektive. Darum muss sich in Sachen Ausbildung etwas Durchgreifendes ändern in Deutschland.

Artikel vom 11.06.2005