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Geschichten aus 29
und einer »Nacht«

Rückblick auf drei Jahrzehnte Laufereignis

Von Hans-Heinrich Sellmann
Borgholzhausen (WB). Weltrekordler, Olympiasieger, nationale und internationale Medaillengewinner - die »Nacht von Borgholzhausen« lockt seit den 70er-Jahren Spitzensportler aus aller Welt in den Altkreis. Bereits zum 30. Mal geht der älteste Straßen-City-Lauf Deutschlands in diesem Jahr über die Bühne. Eine lange Zeit für Geschichte und Geschichten.

»Die Stadt
absperren?!«
Begonnen hat 1976 alles bei einer Tasse Kaffee. Der niederländische Offizier Hank Snepvangers war mit seiner Einheit am Hollandskopf stationiert und schon längst Mitglied beim TuS Solbad Ravensberg. Als mehrfacher 800-Meter-Meister kannte er sich bestens aus in der Szene. »Er hat mir von den Kirmesläufen in Holland erzählt und uns auf die Idee gebracht«, erinnert sich Friedhelm Boschulte, Vorsitzender des heutigen LC Solbad. Ein Rundkurs quer durch die Stadt, am späten Abend und dann auch noch über zehn englische Meilen: »Wir wollten unbedingt etwas Außergewöhnliches auf die Beine stellen.« Einziges Problem: »Die Stadt musste abgesperrt werden und das war damals gar nicht so einfach.« Erst nach einer Streckenbesichtigung mit Polizei und Stadtdirektor gab die Verwaltung grünes Licht. »Da hat uns wohl nur unsere Beharrlichkeit geholfen«, schmunzelt Boschulte heute.
Erste Sieger
Exakt nach 52 Minuten und 14 Sekunden hielt die Uhr für Jürgen Schulz an. Der Bochumer vom TuS Griesenbruch war Schnellster des mit 160 Läufern noch recht überschaubaren Feldes. Dennoch hatten die Organisatoren keine Bedenken, dass es sich möglicherweise um einen einmaligen Versuch handeln könnte. »Dass die Teilnehmerzahlen in den folgen Jahren dermaßen in die Höhe schnellten war, natürlich nicht abzusehen. Dass wir das Rennen wiederholen würden, war uns allen aber klar«, sagt Friedhelm Boschulte. Platz eins bei den Frauen sicherte sich Christa Vahlensiek. Die Wuppertalerin stand 1977 und 1979 nicht nur erneut ganz oben, sie stellte später auch einen Weltrekord im Marathonlauf auf.
Weichen stellen
mit Jack Fultz
Bereits zur dritten Auflage präsentierten die Solbader den ersten Topstar bei der »Nacht« und stellten damit die Weichen für eine internationale Zukunft. Manfred Steffny, Bruder des erfolgreichen Marathon-Manns Herbert, klingelte eines Tages bei Boschulte an: »Er fragte, ob wir Interesse an dem Gewinner des Boston-Marathons hätten.« Einige Tage vor dem Rennen wurde Jack Fultz im Hotel Meyer der Öffentlichkeit präsentiert - und von Bürgermeister Heinrich Knaust persönlich begrüßt. Inzwischen hatte sich auch bis ins Rathaus herumgesprochen, welchen Werbewert die »Nacht« für Borgholzhausen schon hat und noch haben wird. Müßig zu erwähnen, dass der Amerikaner gewann.
Deutsche
Glanzlichter
Prominente Namen der deutschen Leichtathletik finden sich jedoch auch in der Siegerliste. Wolf-Dieter Poschmann knackte 1979 die Zeit von Fultz und kam neun Jahre später sogar nach Pium zurück. Inzwischen beim ZDF tauschte »Poschi« Laufschuhe gegen Mikrophon und empfing die Athleten via Lautsprecher im Zielraum. Ein weiteres Intermezzo des laufenden Journalisten sieht Friedhelm Boschulte derzeit nicht. »Ich stehe immer noch in regem Kontakt mit ihm, aber seine Zeit ist sehr begrenzt.« Poschmann ist mittlerweile Sportchef beim Mainzer Fernsehsender. Wenn Manfred Steffny schon Läufer aus Übersee nach Borgholzhausen locken kann, dann natürlich auch seinen berühmten Bruder. So sicherte sich Herbert Steffny 1985 den »Nacht«-Sieg, ohne zu wissen, dass sein Karriere-Höhepunkt noch bevorstand: Im darauf folgenden Jahr gewann er bei der EM in München Marathon-Bronze.
Die Afrikaner
kommen
Kontakte hatte und hat Friedhelm Boschulte in alle Himmelsrichtungen. 1987 knüpfte er ganz neue ins nahgelegene Warendorf. Zeitgleich mit der »Nacht« ging dort die Militär-WM über die Bühne. Boschulte lieh sich einen Bulli und stellte sich vor das Kasernentor. »Ich habe gefragt, wer übermorgen an einem Lauf teilnehmen möchte, und gesagt, dass ich wiederkomme, um sie abzuholen.« Musa Goda und sieben weitere Schwarzafrikaner nahmen das Angebot an. Der Sudanese siegte in Pium und löste eine Welle aus. »Von da an ging's Schlag auf Schlag.« Aus Tansania, Zimbabwe und insbesondere aus Kenia kamen in den folgenden Jahren die Sieger. Den klangvollsten Namen von ihnen trägt eine Frau. Die zweifache Marathon-Weltrekordlerin Tegla Loroupe gewann 1992 und 1994.
Bowle-Barde
Den wohl skurrilsten Auftritt hatte Country-Barde Gunter Gabriel. »Der hatte sich ordnungsgemäß angemeldet und war auch ins Ziel gekommen.« Nachdem der Sänger aber in diversen Vorgärten Halt gemacht hatte, um das eine oder andere Gläschen Bowle zu leeren, verzichtete Friedhelm Boschulte darauf, ihn um ein Ständchen zu bitten. »Das wäre bestimmt nicht gut gegangen.«

Artikel vom 11.06.2005