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Brüsseler Irrsinn sorgt
für Bücher-Tourismus

Los entscheidet über EU-weite Schulbuchbeschaffung

Von Manfred Stienecke
Paderborn (WV). Weil die Stadt Paderborn ihre Schulbuchbestellungen europaweit ausschreiben muss, gehen die heimischen Buchhändler immer häufiger leer aus.

In diesem Jahr ließ das Schulverwaltungsamt für die Auftragsvergabe sogar erstmals in die Lostrommel greifen. Insgesamt 48 Händler, darunter gut die Hälfte außerhalb von Nordrhein-Westfalen, wollten die an den städtischen Schulen benötigten Bücher nach Paderborn liefern. »Die Angebote waren absolut identisch, deshalb war die Auslosung für uns die einzige Möglichkeit«, verweist Amtsleiter Walter Löhr auf die für alle Beteiligten unbefriedigende Situation.
Wer von dem Auftrag über insgesamt 600 000 Euro profitiert, entscheidet allein die Glücksfee. Sie »erwischte« in diesem Jahr neben Anbietern aus Bamberg, Berlin, Rottweil und Remscheid mit der Buchhandlung Voß aus Hövelhof immerhin noch einen heimischen Anbieter. Vor zwei Jahren waren die Paderborner Buchhandlungen völlig leer ausgegangen.
Der Bücher-Tourismus - Lehrwerke aus dem Paderborner Schönigh-Verlag nehmen jetzt den Umweg über Bayern und Berlin ins benachbarte Theodorianum - könnte in Zukunft noch zunehmen. Gingen vor drei Jahren bei der erstmals notwendig gewordenen EU-weiten Ausschreibung im Paderborner Schulverwaltungsamt lediglich drei Angebote ein, waren es in den Folgejahren mit 17 und 24 schon deutlich mehr, während jetzt die Angebote von 48 Firmen geprüft werden mussten. »Da liegen viele Stolpersteine im Weg, und alle sind justiziabel und anfechtbar«, weiß ein Mitarbeiter zu berichten. »Einzelne Lieferanten sind ausgesprochen prozessfreundlich.«
Über den reinen Buchpreis nämlich kann sich kein Anbieter einen Vorteil verschaffen. Der unterliegt der gesetzlichen Preisbindung, und auch Rabatte sind festgelegt. Maximal 25 Prozent gewähren die Verlage den Händlern, 15 Prozent davon dürfen an die auftraggebenden Kommunen weitergegeben werden. Als »Köder« legen die Lieferanten zusätzliche Serviceleistungen aus. So konnte sich die Arbeitsgemeinschaft der Paderborner Buchhändler im Vorjahr den Auftrag des Kreises für die in den Berufsschulen benötigten Bücher sichern, weil sie ausgediente Lehrwerke in Zahlung nahmen.
»Für uns bedeutet das Verfahren einen deutlich höheren Aufwand«, bezweifelt Paderborns Schuldezernent Wolfgang Walter den Sinn der EU-weiten Ausschreibung. Um den bürokratischen Mehraufwand zu stoppen, hat er bereits einen Hilferuf an die EU-Kommission und die Brüsseler Europaabgeordneten abgeschickt - bislang ohne jegliche Resonanz. »Bei gleich lautenden Angeboten sollte die Stadt die heimischen Unternehmen bevorzugen dürfen«, fordert der Sprecher der Paderborner Buchhändler, Herbert van Beek. »Schließlich zahlen wir hier die Gewerbesteuer und schaffen Arbeits- und Ausbildungsplätze.«

Artikel vom 09.06.2005