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Auf der Suche nach der eigenen Kultur

Elinor Benami aus Knoxville/Tennessee verbringt Austauschjahr bei Familie Keller in Frotheim

Von Sebastian Picht (Text und Fotos)
Frotheim (WB). Aus der amerikanischen Großstadt in den ländlichen Mühlenkreis: Diese Umstellung musste Elinor Benami aus den USA verarbeiten, die für ein Jahr zu Gast bei Familie Keller aus Frotheim ist. Die 16-jährige Austauschschülerin bleibt noch bis zum 4. Juli in Deutschland.

Am »Independence Day«, dem amerikanischen Nationalfeiertag, geht es dann zurück in die Heimat nach Knoxville/Tennessee.
Es bedurfte einiger Umstellungen, um sich in der neuen Heimat zurechtzufinden. »Mit dem Fahrrad zur Schule zu fahren - das kannte ich so nicht«, erzählt die Austauschschülerin. Von der Großstadt Knoxville mit etwa 180 000 Einwohnern im Südosten der USA ging es für die 16-Jährige nach Ostwestfalen. »Aber mir gefällt es hier richtig gut. Ich liebe die Tiere, und die morgendliche Fahrradtour zum Söderblom-Gymnasium finde ich schön«, berichtet Elinor Benami. »Das Leben hier ist schon ein wenig anders, und zuerst gab es auch mit der Sprache einige Probleme«, erzählt die Jugendliche, die mittlerweile aber annähernd fließend Deutsch spricht. »Mir ist aufgefallen, dass es Parallelen zwischen dem Plattdeutschen und der englischen Sprache gibt.«
Der Aufenthalt in Deutschland ist für Elinor Benami auch eine Reise in die Vergangenheit der eigenen Familie. Ihre Großmutter stammt aus Bayern und wanderte nach dem Zweiten Weltkrieg nach Amerika aus. »Meine Oma freut sich richtig, dass ich hier bin, und hat mir vorher viele sprachliche Tipps gegeben. Außerdem schreibt sie mir viele Briefe und genießt es, sie in Deutsch zu verfassen«, berichtet die 16-Jährige. »Ich wusste gar nicht, dass ich hier so viele Verwandte habe. So habe ich eine Cousine in Kiel und Verwandte in Lehrte und München.«
Elinors Vater kommt aus Israel. »Man kann also sagen, dass Elinor hier auf der Suche nach ihrer eigenen Kultur ist«, meint Gastmutter Gisela Keller. Ihre Gasttochter hat festgestellt: »Ich bin durch den Aufenthalt hier meiner Familie viel näher gekommen, obwohl ich so weit von ihr entfernt bin«.
Im Rahmen des Austausches hat Elinor in der Nähe der KZ-Gedenkstätte Dachau viele Gespräche mit Zeitzeugen aus Israel geführt. »Ich war dort eingeladen und habe viel über die damalige Zeit erfahren. Ich habe einen Einblick in die deutsch-jüdische Geschichte bekommen«, erläutert Elinor Benami. »Ohnehin haben wir viel über politische Fragen diskutiert. Die US-Wahl im November war auch ein großes Thema«, fügt Gisela Keller hinzu.
Im Rahmen des Austausches stand auch ein Besuch in Berlin auf dem Programm (wir berichteten). »Dort wurden wir vom Bundestagsabgeordneten Steffen Kampeter empfangen«, berichtet die Familie. Denn der Austausch fand im Rahmen eines parlamentarischen Partnerschaftsprogramms zwischen der Bundesrepublik und den Vereinigten Staaten statt und wurde vom Verein »Experiment e.V.« betreut.
Aber neben den zahlreichen Besuchen ging es natürlich auch darum, den normalen Alltag zu erleben. Gemeinsam mit der 17-jährigen Jana, der jüngsten Tochter der Familie Keller, besucht Elinor Benami die elfte Stufe des Söderblom-Gymnasiums. Dort hat Elinor viele neue Freunde kennen gelernt und an zahlreichen schulischen Aktivitäten teilgenommen. »Mit der Big-Band war ich in Frankreich, nachdem mir eine Mitschülerin ihre Querflöte geliehen hatte.« Auch in der Theater-AG mischte die Amerikanerin mit. In der Schwedisch-AG erlernte das Sprach-Talent - Elinor spricht Deutsch, Englisch und ein wenig Französisch - auch einige Brocken der skandinavischen Sprache. »Mein späterer Beruf sollte auf jeden Fall etwas mit Sprache zu tun haben. Aber vorher möchte ich erst einmal studieren und vielleicht noch ein Jahr ins Ausland gehen.«
Heimweh kam während des einen Jahres in Deutschland nur selten auf. »Es gibt ja genug Möglichkeiten, um in Kontakt zu bleiben. Ich bin auf jeden Fall sehr zufrieden mit diesem Jahr. In Deutschland habe ich viele neue Dinge gelernt. So finde ich es zum Beispiel ganz toll, dass die Familie häufig zusammen isst. Das gibt es in den USA nur selten.«
Als Familie Keller von dem Austausch-Projekt in der Zeitung gelesen hatte, war sie sofort begeistert. »Wir hatten schon öfter Kinder aus der Tschernobyl-Region Gomel zu Gast«, berichtet Gisela Keller. »Wir haben ein großes Haus und haben gerne junge Leute um uns. Nach dem Auszug unserer ältesten Tochter, die nun in Paderborn studiert, haben wir genug Platz.« Außerdem will die Familie mit der Aufnahme von Elinor einen persönlichen Beitrag für mehr Toleranz und eine bessere Völkerverständigung leisten.
Der Kultur eines anderen Landes ein Jahr lang auf Tuchfühlung zu begegnen, sei schon etwas Besonderes - obwohl die Idee damals sehr spontan entstanden ist. »Dabei ist es schon ein Aufwand, jemanden bei sich aufzunehmen. Man muss bereit sein, sich auf einen anderen Menschen einzulassen«, erklärt die Gastmutter. »Aber es lohnt sich. Man lernt voneinander, und unsere Töchter haben nun eine Anlaufstelle in den USA.« Tochter Jana will ihre neue »Schwester« auf jeden Fall dort besuchen.
Denn die Zeit in Frotheim ging in Windeseile vorbei und in weniger als einem Monat geht es schon wieder zurück in die USA -Êmit gemischten Gefühlen. »Das tägliche Fahrradfahren zur Schule werde ich ganz bestimmt vermissen«, sagt Elinor Benami mit einem Augenzwinkern.
Weitere Informationen zum Austauschprojekt sind im Internet zu finden:
www.experiment-ev.de

Artikel vom 04.06.2005