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Gewürzmühle weicht
dem Abrissbagger

Das traurige Ende einer »gigantischen Apotheke«

Von Stephan Rechlin (Text)
und Wolfgang Wotke (Foto)
Gütersloh (WB). »Das wird hier noch nach Gewürzen riechen, wenn das Gebäude längst weg ist.« Der Gütersloher Architekt Friedrich-Wilhelm Schröder steht in der leer geräumten Gütersloher Gewürzmühle an der Molkereistraße und schnuppert. Der Duft von Pfeffer, Ingwer, Koriander, Nelken, Senfkörnern und anderen, undefinierbaren Gewürzen hängt zwischen den kahlen Wänden. Gleich wird der Bagger des Abriss-Spezialisten Hagedorn diese Wände einreißen und dem Gewürzduft ungeheure Mengen Sauerstoff zufügen.

Der Abriss ist eine Idee des neuen Inhabers, des Indasia-Konzerns in Georgsmarienhütte. Indasia wird fortan die Kunden des Gütersloher Traditions-Unternehmens bedienen. Dafür braucht der Konzern jedoch keine Mühle mehr in Gütersloh. Als der ehemalige Inhaber Jost-Dietrich Flume (68) das Unternehmen im vergangenen Jahr verkaufte, hatte er noch auf dessen Erhalt und den des guten Namens gehofft. »Doch Indasia war nur an der Tonnage interessiert«, hat er im Nachhinein festgestellt. Seit dem Verkauf hat er keinen Fuß mehr in seinen alten Betrieb gesetzt. Es wäre nicht weit entfernt gewesen - Flume wohnt im Haus neben der Mühle. »Verkauft ist verkauft«, sagt er dazu nur kurz angebunden. Was bleibt, ist die Erinnerung.
Die Gütersloher Pfeffermühle lag schon einmal in Trümmern. 1944, nach einem der letzten Bombenangriffe auf Gütersloh. Firmengründer Wilhelm Linden (1887 - 1954), Großvater von Jost-Dietrich Flume, stand vor dem Nichts. Zwölf Jahre vor dem Bombenangriff hatte er die kleine Firma gegründet, mitten in der Weltwirtschaftskrise. Seine Kenntnisse über Gewürze hatte der ehemalige Gutsinspektor in einer Osnabrücker Gewürzfirma erworben. Zum Allgemeinwissen über Gewürze fügte er eine kleine, aber ungeheuer effektvolle Idee. Um Geschmack in ihre schnittfertigen Rohwürste zu bekommen, gaben Metzger bis dahin Gewürze, Salpeter und Rohrzucker einzeln bei. Sie mussten diese Zutaten stets einzeln einkaufen. Wilhelm Linden kippte den Salpeter in die Gewürzmischung und sparte den Metzgern damit einen Arbeitsschritt.
Linden vertrieb die fertigen Gewürzmischungen aus der Gütersloher Pfeffermühle über den Fleischgroßhandel und verkaufte direkt an kleine Metzger, Hotels und industrielle Fleischbetriebe in ganz Deutschland. 1936 erwarb er die Gebäude der ehemaligen Molkereigenossenschaft an der Molkereistraße. »Mein Großvater wählte Gütersloh als Unternehmenssitz, weil hier im Umkreis große Fleischverarbeiter saßen, die zu wichtigen Kunden wurden«, erzählt Jost-Dietrich Flume. Das Unternehmen florierte, bis die englische Flotte mit Beginn des zweiten Weltkrieges die Gewürzzufuhr unterband. Die alliierten Bomberverbände gaben dem Betrieb dann den Rest.
Doch der Hunger der deutschen Bevölkerung hörte mit der Kapitulation von 1945 nicht auf. Die fleischverarbeitenden Betriebe brauchten Gewürze, egal wie. Wilhelm Linden nutzte seine alten Kontakte und besorgte ihnen Ersatz: Maismehl und Chilipulver. Wurst und Fleisch der Nachkriegsjahre schmeckten seltsam, doch der Kunde aß. Noch vor der Währungsreform brachte es Linden fertig, eine neue Pfeffermühle auf dem Areal an der Molkereistraße zu errichten. Das ist die Mühle, die nun abgerissen wird.
Der Großvater starb 1954. Weil auch seine Brüder nicht mehr lebten, übernahm seine Tochter Anneliese Flume (1914 -2001) die Geschäftsführung. Sie leitete die Firma bis 1964, danach wurde sie vier Jahre lang von zwei leitenden Angestellten geführt. 1968 entschied sich ihr Sohn Jost-Dietrich, in das Unternehmen einzusteigen. Der Diplom-Betriebswirt und gelernte Banker führte die Firma zu ihren größten geschäftlichen Erfolgen.
Der wachsende Wohlstand in Deutschland hatte den Duft von gegrilltem Fleisch. Erst würzten es die Leute selbst, dann kauften sie fertig gewürzte Koteletts und Steaks, schließlich musste das Fleisch in Marinade eingelegt sein. Goldene Zeiten für Gewürzmühlen. Der Umsatz der Gütersloher Mühle stieg von 750 000 Mark (1968) auf 5,4 Millionen Euro (1999). In den 90er Jahren beschäftigte die Mühle 51 Mitarbeiter, soviel wie nie. Aus 120 verschiedenen Grundstoffen mixte die Gewürzmühle mehr als 500 Produkte. »Ich war der Leiter einer gigantischen Apotheke«, sagt Flume scherzend. Der erste Knick kam mit der BSE-Krise im Jahr 2000. Seitdem bröckelte der Umsatz. »Nur ein bis zwei Prozent pro Jahr, aber kontinuierlich.« Rettung habe ausschließlich ein höherer Exportanteil versprochen. Doch dieser Aufwand sei nur von einem Konzern zu leisten gewesen. Darum hat Flume verkauft, und darum wird es an der Molkereistraße künftig nicht mehr so würzig duften.

Artikel vom 04.06.2005