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»Götz« kurzatmig und matt

Göttinger Theater zeigte ein gerafftes Goethe-Drama

Von Manfred Stienecke
Paderborn (WV). Nach nur 100 Minuten war alles vorbei. In Rekord-Aufführungszeit ließ das »Deutsche Theater« Göttingen am Dienstag in der Paderhalle den »Götz«, das Goethesche'sche Ritterdrama, über die Bühne eilen.

Wer das Schauspiel nicht kannte, dürfte nur wenig begriffen haben. Das lag nicht nur an den zum Teil unverständlich leise gesprochenen Dialogen, sondern natürlich vor allem an der extrem gerafften »Handlung«. Die nämlich beschränkte sich weitgehend auf dramatisch nur angedeutete Stück-Ausschnitte und blieb somit eine szenische Kurzform des Ritterdramas, mit dem der junge Goethe 1773 - die Göttinger Adaption fußt übrigens auf der zwei Jahre älteren Urfassung - das französisch geprägte Theater seiner Zeit revolutionierte und den »Sturm und Drang« einläutete.
In der Inszenierung von Wolfram Apprich agiert das vielköpfige Spielensemble auf einer kahlen schiefen Ebene unter einem düsteren, spiegelverkehrt gewölbten Himmel. Die Einteilung in fünf Akte ist völlig aufgegeben, die einzelnen Auftritte fließen nahtlos ineinander, überlappen sich teilweise sogar simultan. Man steht oder hockt in Gruppen zusammen, alles wirkt seltsam statisch.
Tatsächlich geht es Apprich nicht um die Abwicklung eines Handlungsfadens. Er verflicht einzelne Stränge miteinander, legt Schlingen und zwingt den Zuschauer selbst zum Aufdröseln des dramatischen Knotens. Das erlaubt ihm zugleich ein eigenwilliges Pendeln zwischen verschiedenen Theaterformen. Der »Götz«, der eigentlich Gottfried heißt, räsonniert mal in einer Attischen Tragödie, verirrt sich ins Bürgerliche Trauerspiel, schaut in Brechts Epischem Theater vorbei und flüchtet sich bisweilen ins Absurde Fach. Das sorgt für Abwechslung, und eine angedeutete »Eurythmie«-Einlage Elisabeths stößt bei den anwesenden Schulklassen, die der Paderhalle wenigstens halbwegs zur angemessenen Kulisse verhelfen, auf feixende Heiterkeit.
»Ich bin kein Rebell, ich bin allein!«, resigniert Goethes »Götz von Berlichingen« angesichts seines gescheiterten Aufbegehrens gegen Machtmissbrauch und verlotterte Sitten. Damit befindet er sich ebenso hilflos wie aktuell im Geflecht destruktiver Kräfte, die zu allen Zeiten das Rad der Geschichte ins Trudeln bringen.
Entsprechend zeitlos gehalten sind die Kostüme, und der Wunsch nach »Freedom« erschallt nur noch aus den krächzenden Platterspieler-Boxen beim Tanz auf dem Vulkan, der jederzeit wieder ausbrechen kann.
Am Schluss gab's matten Applaus für eine letztlich nicht überzeugende Inszenierung und ein redlich bemühtes Ensemble ohne wirkliche Hauptfigur.

Artikel vom 02.06.2005