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Die Kolumne Stadtgespräch erscheint mittwochs in dieser Zeitung.

Stadt
Gespräch

40 Jahre am »Katzentisch« (122. Folge):Kleben an Rathaussesseln


Fraktionsvorsitzender Christoph Rieping hat im Oktober 1986 im Rathaus die CDU-Fraktion auf eine einmalige Taktik in öffentlicher Ratssitzung einge-stimmt. Die Mehrheitsfraktion nahm zu dem Bündel von Anträgen aus den Reihen der Sozialdemokraten und Grünen (seit 1984 im Rat) keine Stellung. Die Verwunderung bei der Opposition war groß, vorbereitetes »Nachfragen« erntete Schweigen.
In der gleichen Sitzung am 2. Oktober 1986 wurde von Bürgermeister Herbert Schwiete mit Annette Hagemann die erste Wahlbeamtin in der langen kommunalen Stadtgeschichte Paderborns vereidigt. Sie kam als fünfte Beigeordnete in Stadtdirektor Ferlings Verwaltungskabinett. Ich berichtete damals: »Sie ist richtig hübsch, blond, trägt neckisch einen langen geflochtenen Zopf und kam gestern im Schwarz-Weiß-Halboffiziellen ins Rathaus«.
Diese paar Zeilen wurden von der SPD-Fraktion als »Sexismus« bezeichnet. Wegen neckisch? Laut »Duden« versteht man darunter »lustig, schelmisch, verschmitzt«. Ganz früher wurde »necken« im Sinne von »boshaft reizen und plagen« verwendet. Und: »Heute ist es im Sinne von ein übermütiges Spiel oder harmlose Scherze mit einem treiben«. Also: Nix da Sexismus!
Dr. jur. Bernhard Löwenberg war von 1971 bis 1978 II. Stadtdirektor in Paderborn, wurde hauptamtlicher Landrat im Main-Taunus-Kreis mit Sitz in Hofheim und ging dann als Europa-Anwalt nach Brüssel. Der Jurist sprach vor zehn Jahren auf einer CDU-Mittelstandsvereinigung. Wir erinnerten uns an eine Begegnung im Paderborner Jubiläumsjahr 1977. In der »Arosa«-Bar saßen wir mit Stadtdirektor Ferlings beim »Absacker«. Ein vierter Mann kam hinzu, der sich als hochrangiger Mitarbeiter eines Düsseldorfer Ministeriums entpuppte.
Am anderen Morgen, erläuterte er uns nach dem dritten Bier, wollte er der Stadt Paderborn wegen angeblich mangelhafter Zusammenarbeit mit der neuen Universität »den Marsch blasen«. Er werde beim Stadtdirektor namens Ferlings tüchtig auf den Tisch hauen. Erst beim Verabschieden stellte sich der Stadtdirektor dem Mann auf dem Barhocker vor: »Ferlings ist mein Name«. Dem »ministeriellen Schluckspecht« kippte die Kinnlade runter. Was tags darauf in Ferlings Dienstzimmer passiert ist, war nie in Erfahrung zu bringen.
CDU-Ratsherr Paul Steinke, verdienstvoller Hauptschulrektor, stellte vor Jahrzehnten im Rathaus fest, dass in der Runde der Ratsmitglieder viele Juristen und Pädagogen saßen. Sein Spruch galt beiden Berufsvertretern: »Morgens haben sie immer Recht und nachmittags auch wenig zu tun!«
Das war für mich im September 1995 ein ganz neues Lebensgefühl. 40 Jahre lang durfte ich am »Katzentisch« neben Paderborner Bürgervertretern sitzen und über den Verlauf von Diskussionen und Beschlüsse berichten, werten, tadeln und loben. Als sachkundiger Bürger kam ich vor zehn Jahren in den Jugendwohlfahrtsausschuss. Ganz rasch vollzog sich der Einzug in den Fachausschuss nicht. Zunächst mussten dem Bürgermeister bezüglich der »Ehrenordnung der Stadt Paderborn« persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse auf einem entsprechenden Formular dargelegt werden. Gefragt wurde auch nach vergüteten oder ehrenamtlichen Tätigkeiten, nach dem Grundvermögen innerhalb des Stadtgebietes. Mein Platz war nach der Verpflichtung durch den Vorsitzenden Hubertus Werner zwischen Hermann Günnewig (CDU) und Reinhard Borgmeier (Grüne).
Feststellung: Wer sommer tags auf den Plastik-Sitzungsstühlen saß, weiß warum Ratsmitglieder oft an ihren Sesseln kleben!Georg Vockel

Artikel vom 01.06.2005