30.05.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Gleich vier Jungstörche im Nest

16 Brutpaare: Der Storchenbestand im Mühlenkreis entwickelt sich überaus positiv

Gehlenbeck (HoG). Damit hatte Stefan Bulk nicht gerechnet. »Das sind ja vier«, entfuhr es ihm, als er vom Korb der Drehleiter der Lübbecker Feuerwehr einen ersten Blick in das Storchennest auf dem alten Fabrikschornstein an der Frotheimer Straße in Gehlenbeck werfen konnte. »Wir hatten nur mit drei Jungen gerechnet«.
Gleich vier Jungstörche fand Stefan Bulk im Nest vor. Damit hatte er nicht gerechnet. Vorsorglich hatte er jedoch genügend Ringe mitgebracht.Fotos: Horst-H. GriepenstrohDie Lübbecker Feuerwehr stellte ihre Drehleiter für die Aktion zur Verfügung.
Für die Beringung der Jungtiere ist es eigentlich noch etwas zeitig, doch das Storchenpaar hatte schon im März das Nest auf dem alten Fabrikschornstein in Gehlenbeck angeflogen, sich häuslich eingerichtet und schon bereits Mitte April mit dem Brutgeschäft begonnen. Nach 32 Tagen Brutzeit schlüpften die Jungen, »und im Alter von gut drei Wochen kann jetzt die Beringung vorgenommen worden«, erklärte Stefan Bulk vom NABU-Kreisverband. Länger zu warten, ist risikoreich, denn wenn die jungen Störche erst flügge werden, ist die Chance vertan.
Der Altstorch beäugte den sich nähernden Drehleiterkorb misstrauisch, wartete doch zunächst bei seinen Jungen ab. Schließlich zog er es jedoch vor, sich in die Lüfte zu erheben, umkreiste aber das Nest in respektvoller Entfernung. Die Jungen verhielten sich absolut regungslos und ließen die Beringung ohne jeglichen Widerstand geschehen Es dauerte auch nur ein paar Minuten, da hatte Stefan Bulk seine Aufgabe erledigt, und der Natur wurde wieder freier Lauf gelassen.
Die Beringung dient dazu, den Lebensweg der Tiere zu verfolgen. Für die Storchenschützer sei es von Bedeutung zu erfahren, ob sich die Nachkommen von überwinternden Störchen dem Zug nach Süden anschließen, oder ebenfalls hier verbleiben, erklärt Stefan Bulk.
Vier Jungtiere sind ein überaus guter Erfolg. Die Situation der Störche im Mühlenkreis sei zur Zeit positiv zu bewerten, so Bulk. Ein guter Bestand wie in den Jahren 2003/2004 lassen NABU und Aktionskomitee »Rettet die Weißstörche« sowie alle Storchenfreunde auf ein erfolgreiches Jahr hoffen.
Waren es 1990 nur etwa drei Paare, so sind in diesem Jahr im Kreis 16 Brutpaare zu verzeichnen, zu denen noch drei Neststandorte hinzukommen, die von Einzelstörchen besetzt sind. »Sollte diese positive Entwicklung des Storchenbestandes anhalten, so könnte schon bald auch der Altkreis Lübbecke mit seinen historischen Storchenlebensräumen mit Neuansiedlungen rechnen«, zeigt sich Stefan Bulk hoffnungsvoll. Rund um das Große Torfmoor sowie in der Rauhen Horst und entlang der Fließgewässer wie beispielsweise der renaturierten Großen Aue könnte nach jahrelangen Bemühungen von NABU und vom Aktionskomiteee ausreichend Lebens- und Nahrungsraum zur Verfügung stehen.
Der gute Storchenbestand dürfe aber nicht darüber hinweg täuschen, dsas der Kreis Minden-Lübbecke an der westlichen Verbreitungsgrenze der Weißstörche liege. Solche Randpopulationen seien immer gefährdet. Darin liege auch die Begründung, warum der Storchenschutz eine prioritäre Aufgabe von Verbänden, Behörden und Politikern im Kreis sein müsse, erklärt der engagierte Naturfreund.
Die Störche stellen zunehmend ein starkes Symbol für den Mühlenkreis dar und haben eine überregionale Bedeutung für den Artenschutz. Neben Einzelvorkommen am Niederrhein finde sich hier der einzige Storchenbestand in ganz NRW. Die Zukunft des Bestandes liege in der Aufzuchtquote hier vor Ort. »Nur wenn unsere Störche über Jahre ausreichend Junge großziehen können, wird sich die aktuelle positive Entwicklung stabilisieren können, so Bulk. Deshalb bleibe es wichtig, die Nahrungsräume der Störche zu schützen und miteinander zu vernetzen. Andernfalls könnte der Storch wie schon um 1990 an den Rand des Aussterbens zurückfallen.
Sorgen bereiten allerdings die zunehmend auftretenden Störche aus Züchtungen und Wiederansiedlungsprojekten, die im Gebiet überwintern und durch nicht artgerechtes Verhalten negativen Einfluss auf die Entwicklung der Wildstorchpopulation nehmen. Im Kreis Minden-Lübbecke überwinterten im vergangenen Winter sechs Störche. Diese »Winterstörche« besetzten die Lebensräume der ziehenden Störche, die erst später im Jahr aus dem Süden ins Brutgebiet zurückkehren, so Bulk. Bei den Versuchen, ihre alten Nester wieder zu besetzen, komme es immer wieder zu Störungen im Brutgeschäft und zu Storchenkämpfen, die sogar zu Verlusten bei den Gelegen und den Jungvögeln führen könnten, bedauert er. Das sei im vergangenen Jahr in Gehlenbeck und auch in Petershagen der Fall gewesen.
Bei dem Storchenmännchen in Gehlenbeck handele es sich um einen Überwinterer, der 1996 in Rheingönhain/Ludwigshafen beringt worden sei. Die Herkunft des Weibchens sei nicht bekannt.

Artikel vom 30.05.2005