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Die Seligkeit der Vieldeutigkeit

Schauspielerin Nina Petri beim Literatur- und Musikfest in Wehrden

Von Wolfgang Braun
Wehrden (WB). Lyrik von Annette von Droste-Hülshof war der Bezugspunkt der Lesungen von Ulrike Draesner und Nina Petri im Rahmen des OWL-Literatur- und Musikfestes »Wege durch das Land« im Schloss Wehrden.

Die künstlerische Leiterin des Festivals, Brigitte Labs-Ehlert, wies vor den zahlreichen Gästen der auch vom Bertelsmann-Verlag unterstützen Veranstaltung auf die enge Verbindung zwischen Annette von Droste Hülshoff (1797 bis 1848) und Schloss Wehrden hin: Ihre Tante Dorothea (»Dorly«) von Wolff-Metternich lebte hier. Recht häufig war Annette von Droste-Hülshoff - wie auch in Bökendorf oder in Herstelle bei anderen Verwandten - seit ihrem ersten Besuch als Achtjährige hier zu Gast.
Viele Eindrücke, die die Dichterin in diesem »romantischen Land an der Weser« aufgenommen hatte, finden sich in ihrer Lyrik wieder, so Labs-Ehlert. Sie führte aus, dass die Droste, beispielsweise mit ihrem Gedicht »Im Grase« die literarischen Moderne, deren Beginn sonst eigentlich mit dem Werk von Charles Baudelaire (1821-1867) verknüpft wird, eingeleitet habe.
Diesen Faden nahm auch die Autorin Ulrike Draesner (43) in »Suche nach Mensch« auf. Sie las »Im Grase« im Original und stellte dann eine eigene Version dieses Poems und ihre Interpretation zur Diskussion. Die Lyrikerin, die eine viel versprechende Hochschulkarriere als Literaturwissenschaftlerin an der Universität München aufgegeben hatte, um freie Autorin zu werden, wies ihre These von der modernen Auflösung der Ichs bis in die grammatischen Feinheiten des sehr subjektiven Droste-Textes hinein nach.
Es sei in einer »Seligkeit der Vieldeutigkeit« das jeweilige Ich des Lesers, das aus dem Gedicht spreche. Draesner eröffnet mit dieser durch viele Befunde belegten Sichtweise einen neuen Blick auf Annette von Droste-Hülshoff als einer in formalen und inhaltlichen Momenten sehr mutigen Wegbereiterin der literarischen Moderne.
In einem zweiten Teil ihrer Lesung stellte sie eigene Lyrik aus der 2005 im Luchterhand erschienen Sammlung »Kugelblitz« vor. Dabei bestach die Grazie ihres Vortrags ebenso wie der sinnliche Bilderreichtum und das Raffinement ihrer auch rhythmisch höchst reizvollen lyrischen Sprache.
Mit der vielfach preisgekrönten Schauspielerin Nina Petri (41, »Rote Erde«, »Die tödliche Maria«, »Lola rennt«) hatte Brigitte Labs-Ehlert ein Darstellerin gefunden, die Liebes- und andere Gedichte der Annette von Droste-Hülshoff gewissermaßen auf Augenhöhe vortrug. Man spürte die Begeisterung, die die Lyrik der Droste bei Nina Petri auslöste.
Doch wurde diese gezähmt durch eine reflektierende Grundhaltung beim Lesen, eine Attitüde, die es den Zuhörern sehr erleichterte, den zumeist unbekannten Texten von »Die Taxuswand«, »Das Spiegelbild«, »Blumentod« oder »Mondesaufgang« zu folgen. Und: Nina Petri mit ihrer selbstbewussten, etwas herben Weiblichkeit stellt einen Typ Frau dar, wie er in der Lyrik der Droste als sehnsüchtige Utopie angelegt scheint. Lang andauernden, stürmischen Applaus gab es nicht nur für Ulrike Draesner und Nina Petri, sondern auch für das Wiener Klavier-Trio mit ihrem gewaltigen Vasks- und Schubert-Konzert. Bericht folgt

Artikel vom 30.05.2005