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»Sharon wird Gazastreifen räumen«

Friedensgespräche ruhen - Kleines »Nahost-Gipfeltreffen« in Paderborn

Von Manfred Stienecke
(Text und Foto)
Paderborn (WB). Ein Hauch von »Camp David« wehte am Freitag Abend durch die Paderborner Kaiserpfalz, als der ehemalige israelische Botschafter in Berlin, Avi Primor, und der Sprecher der Palästinenser in Deutschland, Mustafa Shehadeh, zu einem Gedankenaustausch zusammentrafen.
Avi Primor, Palästinenser-Sprecher Mustafa Shehadeh und der Vorsitzende der Christlich-Jüdischen Gesellschaft, Dr. Hubert Frankemölle (v.l.).

Nach einer Zeit relativer Annäherung zwischen den Vertretern Israels und Palästinas sieht Avi Primor, von 1993 bis 1999 Botschafter in Berlin, derzeit wieder eine Phase des Stillstands erreicht. »Einen Friedensprozess haben wir momentan nicht, es gibt nur die leise Hoffnung auf Verständigung«, meinte der Diplomat, der 1998 von Sharon für seine allzu nachgiebige Haltung gerügt und ein Jahr später aus seinem Amt abberufen worden ist. Zwischen dem israelischen Ministerpräsidenten und dem Nachfolger von Arafat, Mahmud Abbas, gebe es derzeit kein Gesprächsklima.
Nach Einschätzung des erfahrenen Diplomaten versucht Ariel Sharon, durch den einseitigen Rückzug aus dem Gazastreifen die israelische Position dahingehend zu stärken, dass so der israelische Anspruch auf die restlichen Gebiete im Westjordanland zementiert werde. »Sharon wird Gaza räumen, wenn die Situation unter den Siedlern ruhig bleibt«, meinte Primor in Paderborn. »Ich bin davon überzeugt, dass wir uns Ende August nicht mehr im Gazastreifen befinden, aber ich glaube nicht, dass sich Sharon aus dem Westjordanland zurückzieht.« Der Palästinenser-Führer Abbas sei nicht mächtig genug, um die terroristischen Bewegungen in seinem Land zu stoppen«, meinte Primor. »Er findet nur eine lauwarme und keine leidenschaftliche Unterstützung durch die eigene Bevölkerung und habe nicht das notwendige Charisma, um einen neuen Friedensprozess in Gang zu setzen.
Palästinenser-Sprecher Shehadeh nannte demgegenüber die israelische Präsenz in seinem Land als Haupthindernis für eine dauerhafte Verständigung. »Wir sind bereit, auf 78 Prozent unserer Heimat zu verzichten, wenn Israel seine Besatzung beendet.« Die Palästinenser setzten seit 1974 auf eine politische Lösung und lehnten Gewalt ab. Behindert würden Gespräche auch durch den Anspruch der Religionen auf die Region als einer »heiligen Stätte«. Nur die Extremisten wollten einen dauerhaften Frieden verhindern.
Den »kleinen Nahost-Friedensgipfel« hatte die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Paderborn arrangiert und dafür einen Ort ausgewählt, der vor gut 1200 Jahren schon einmal Weltgeschichte geschrieben hat. In der karolingischen Pfalz wurde 799 die Kaiserkrönung Karls des Großen vorbereitet und damit der Grundstein gelegt für das mittelalterliche Kaisertum in Europa.

Artikel vom 28.05.2005