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Das Wort zum Sonntag

Von Superintendent i. R. Karl-Heinz Budde


Vorbilder haben unterschiedliche Wirkungen. Da ist zunächst das unmittelbare Miteinander von Menschen, in dem einer am anderen abliest, was möglich und erstrebenswert ist. Mütter und Väter zeigen ihren Kindern, wer sie sind, welche Ziele sie haben und wie sie sich bemühen, sie zu erreichen. Kinder treten in deren Spuren. Gute Vorbilder zeichnen sich auch durch Kreativität aus. Sie bilden etwas im Voraus ab. Aus ihnen gehen schöpferische Gedanken und Ziele hervor, sie sind zukunftsweisend, lassen Zukunft wachsen. Man zerlege das Wort in seine Bestandteile, um zu entdecken, dass es um gestaltendes Wirken eines Menschen geht: Vor(ab) bild(en).
In der Schöpfungsgeschichte ist von Gott zu lesen, dass er ans Werk geht mit der Selbstaufforderung: Lasst uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei. Gott will also, dass die Welt im Menschenbild sein Bild tragen soll. Er will, dass bei allem Vorhaben, Planen und Tun die Frage zu stellen ist, ob es vor Gott verantwortet ist. Das Menschenbild von heute wird das von morgen bestimmen. Dabei ist nach bestimmten Kriterien zu fragen: nach der sozialen Gerechtigkeit (oder Ungerechtigkeit), nach der Wertschätzung der Generationen für einander, nach der Vorrangstellung des Menschen vor finanziellem und wirtschaftlichem Streben nach Gewinnmaximierung.
Es wird von entscheidender Bedeutung sein, ob eine Gesellschaft gestalterische Kräfte hervor bringen wird, dass nicht nur überkommene Systeme repariert werden, sondern zukunftsfähige Entwürfe einer Wirtschafts- und Sozialordnung vereinbart werden, in denen Gemeinnutz vor Eigennutz rangiert.
Ich schaue bestimmte TV-Sender und bin erschrocken über das transportierte Menschenbild. Entehrende, erniedrigende Äußerungen sind an der Tagesordnung. Abgegolten werden solche »Entgleisungen« mit Geld. Statt das Dialoge zwischen den Generationen geführt werden, übt man sich in Sündenbock-Mentalität, macht Andere für die bestehenden Schwierigkeiten verantwortlich. Die sozialen Sicherungssysteme werden nicht auf die heutigen gesellschaftlichen Gegebenheiten neu definiert und ausgerichtet, sondern die Reparatur zu Lasten der Schwächsten betrieben. Ist das als Leistungsgerechtigkeit zu bezeichnen, wenn ein Spitzenmanager pro Jahr so viel für seine Arbeit einnimmt, wie ein Facharbeiter in seinem ganzen Leben nicht verdienen kann?
Ich erlebe, dass ein langsames Siechtum rhetorisch begleitet wird, statt umzugestalten und zukunftsfähig zu machen. An welcher Stelle rangiert der Mensch? Welchen Platz geben wir ihm in der Zukunft in unserer Welt und Gesellschaft? Welchen Wert messen wir ihm bei?
Das gemeinsame Wort des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der römisch-katholischen deutschen Bischofskonferenz zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland aus dem Jahr 1997 ist in unseren Bücherschränken eingeordnet, es gehört aber auf unsere Tagesordnungen. Es stellt drei Arten von Menschenrechten fest. Die individuellen Freiheitsrechte, die politischen Mitwirkungsrechte und drittens die wirtschaftlich-sozialen und kulturellen Grundrechte.
Sie begründen in diesem Zusammenhang den Anspruch auf Teilhabe an den Lebensmöglichkeiten der Gesellschaft und sichern die Chancen menschlicher Entfaltung. Dazu sind Vorbilder nötig, vorbildende kreative und schöpferische Anstrengungen.

Artikel vom 28.05.2005