25.05.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

»Ich schrie Heil Hitler und
rettete damit mein Leben«

Zeitzeuge Sally Perel (80) erzählt in der Realschule

Steinhagen (fn). »Kein Geschichtsunterricht kann das bewegen, was ein Zeitzeuge mit seinem Bericht auslösen kann«, sagt Salomon Perel. Dieser Satz umschreibt auch die Mission, in der der 80-jährige Überlebende des Holocaust an deutschen Schulen unterwegs ist - gestern in der Realschule.

Sally Perel, das war der »Hitlerjunge Salomon«, dessen Lebensgeschichte durch die gleichnamige Autobiographie und den Spielfilm bekannt geworden ist - ein jüdischer Junge, der sich in Todesangst während des Dritten Reiches als Deutscher ausgibt und zum Hitlerjungen wird. Eine Lüge, die ihm das Leben rettet, aber zugleich einen großen Zwiespalt auslöst, »ein ewiges Tauziehen in meiner Seele«. Sally, beziehungsweise Jupp, musste seine Herkunft verleugnen, um »in der Haut des Feindes« zu überleben, vier lange Jahre.
Die Schülerinnen und Schüler der Klassen sieben bis zehn der Realschule lauschten größtenteils gespannt der 90-minütigen Erzählung des Zeitzeugen. Perel berichtete von der unbeschwerten Kindheit, dann der Flucht aus Deutschland nach Polen, von wo ihn die Eltern 1941 vor den Deutschen und ihren Ghettos schützen wollten und weiter nach Osten schickten. »Sally, vergiss nie, wer du bist« und »Du sollst leben« waren die Worte der Eltern, die sie ihm mit auf den Weg ins Ungewisse gaben.
Als Hitlerjunge schließlich lernte Salomon »Jupp« Perel die Nazi-Erziehung am eigenen Leibe kennen. Natürlich, sagt er, habe er die Rassenlehre der Deutschen mit ihrer Entmenschlichung aller Nicht-Arier verabscheut. Aber der Rest der Ideologie - dass der Starke überlebt und alles Schwache verschwinden wird -, der habe ihn sehr geprägt: »Das Gift fängt schleichend an zu wirken, sogar bei mir.« Hass sei der wichtigste Bestandteil der Nazi-Propaganda gewesen - und diesen Menschenhass beobachtet er auch heute bei den Neo-Nazis.
Bei ihm habe der unbedingte Wille zum Leben gesiegt, sagt Perel. Er habe alle Schwierigkeiten während dieser vier Jahre als Hitlerjunge, alle Ängste vor dem Entdecktwerden irgendwie gemeistert. Nur einmal ist er tatsächlich als Jude enttarnt worden, doch aus diesem Mitwisser wurde ein Freund. Auch den ein oder anderen komischen Moment der Lebensgeschichte von Sally Perel bekommen die Schüler zu hören, können bei allem Bedrückenden, was sie hören, auch einmal lachen.
Ein Gedanke verfolgte Perel immer wieder, auch als er schon ein neues Leben in Israel beginnen konnte: »Als ich ÝHeil HitlerÜ schrie und dadurch mein Leben rettete, wurden so viele meiner Glaubensbrüder vergast.« Gerade in Anbetracht der durch das NS-Regime getöteten eine Million jüdischer Kinder spüre er die Verantwortung, die Erinnerung am Leben zu erhalten: »Ich möchte alle Jugendlichen heute impfen mit den Tränen dieser Kinder.«

Artikel vom 25.05.2005