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Das große Schaulaufen der »Politprominenz«

Symbolischer Spatenstich für die Erweiterung des Gerichts

Von Hubertus Hartmann, Karl Pickhardt und Manfred Stienecke
Paderborn (WV). Irgendwie ist Wahlkampf wie Karneval - es herrscht Ausnahmezustand. In den letzten Tagen vor der NRW-Entscheidung läuten die großen Parteien mit einem politischen Schaulaufen den Schlussspurt ein, um die große Schar der Unentschlossenen vielleicht doch noch für sich zu mobilisieren. Bundes- und Landespoltiprominenz gab sich in Paderborn gestern die Klinke in die Hand.

Die SPD schickte NRW-Justizminister Wolfgang Gerhards und Bundesfamilienministerin Renate Schmidt in die CDU-Hochburg und ihren eigenen Kandidaten Detlef Nacke zum Fototermin mit dem Kanzler nach Lemgo. Die FPD ließ ihren neuen Parteigeneral Dirk Niebel auflaufen. Die Bündnisgrünen hielten mit ihrer Bundesvorsitzenden Claudia Roth dagegen.
Roth, Schmidt und Niebel kamen mit großen Versprechen und leeren Händen. Da hatte Minister Gerhards schon mehr zu bieten - immerhin den symbolischen Spatenstich für den Erweiterungsbau des Land- und Amtsgerichts. Die Paderborner sahen es mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Denn damit ist das erhoffte Justizzentrum an der Bahnhofstraße/Florianstraße endgültig gestorben. »Die gut 40 Millionen Euro waren einfach nicht zu finanzieren«, bedauerte Gerhards. Der Erweiterungsbau im Innenhof der Ensembles am Bogen kostet nur ein Zehntel dessen und soll 2007 fertig sein. Die Außenstellen des Familiengerichts in der Grube und des Amtsgerichts am Busdorf werden dann aufgegeben. Weiterer Wermutstropfen: Der tatsächliche Raumbedarf für die knapp 400 Mitarbeiter sei auch mit dem Neubau noch nicht gedeckt, betonte Landgerichtspräsident Dr. Volker Brüggemann.
Der neue FDP-Generalsekretär Dirk Niebel erschreckte in der Paderborner Agentur für Arbeit deren Leiterin Karin Trübner mit der Forderung nach Auflösung der Behörde. Das »Arbeitsamt« vernachlässige die Vermittlung von Arbeit als Kerngeschäft, habe mit 32 Stunden pro Woche zu wenig geöffnet und sei selbst am Telefon schwer erreichbar. Durchschnittliche 1,4 Vermittlungen eines Vermittlers pro Monat stießen hart an der Grenze der Arbeitsnachweisbarkeit Manche Arbeitslose schämten sich bereits, vom Arbeitsamt empfohlen zu werden. Der FDP-General will die Agentur in drei Säulen zur Versicherungs- und Arbeitsmarktagentur sowie zum Job-Center umbauen. Niebels Vorstöße fanden im Paderborner Arbeitsamt kaum Beifall.
»SPD-Familienfrontfrau« Renate Schmidt schaute sich in Salzkotten zunächst die Kindertagesstätte »Regenbogen« an und lobte deren Modell als »mustergültig«. Gestärkt mit einer westfälischen Kartoffelsuppe, plädierte die Familienministerin anschließend im Paderborner Altenheim Westphalenhof für mehr solcher Einrichtungen in Deutschland. Nur mit deutlich verbesserten Betreuungsmöglichkeiten auch für Kinder unter drei Jahren lasse sich die Geburtenrate wieder steigern. »Die Politik muss die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass sich junge Menschen ihren durchaus vorhandenen Kinderwunsch auch tatsächlich erfüllen können«, sagte Schmidt.
Das rotgefärbte Haar frisch blondiert suchte die Bundesvorsitzende der Bündnisgrünen, Claudia Roth, am Abend ihren Gästen in der Paderborner Arbeiterwohlfahrt die Vorzüge rotgrüner Landespolitik nahezubringen. Zehn Tage lang bereist die bayerische Power-Frau noch bis zum Wahltermin ganz Nordrhein-Westfalen. Gestern machte sie Station in Herford, Höxter und Paderborn. »Gerade im ländlichen Raum werbe ich für Lebensqualität, gesunde Ernährung, sanften Tourismus und die Schaffung regionaler Märkte«, sieht sie hier einige der »grünen« Stärken. Auch Windenergie und Biomasse seien in der Region wichtige Themen - »eine Zukunftschance für die Landwirte.«

Artikel vom 20.05.2005