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Auch Blinde haben die Wahl

Gesetz fordert »Barrierefreiheit« - Schablone dient als Hilfsmittel

Von Jürgen Gebhard
Vlotho (VZ). Natürlich kann sich ein Behinderter beim Ausfüllen seines Stimmzettels helfen lassen. »Wie die meisten Nichtbehinderten kann auch ich es nicht haben, wenn mir jemand dabei über die Schulter schaut«, sagt Ulrich Lauch, der wegen einer Augenerkrankung die Umwelt nur noch schemenhaft wahrnehmen kann.

Das seit vergangenem Jahr aktuelle Behinderten-Gleichstellungsgesetz fordert den Abbau von Barrieren in allen öffentlichen Bereichen. »Dazu gehören nicht nur Fußgängerüberwege, sondern dazu gehört auch der Abbau von Benachteiligungen bei Wahlen«, weiß der in Vlotho lebende Öffentlichkeitsbeauftragte des Blinden- und Sehbehindertenvereins im Kreis Herford.
Die Stadt Vlotho hat zur bevorstehenden Landtagswahl auf das neue Gesetz reagiert und richtet am Sonntag erstmals ausschließlich barrierefrei erreichbare Wahllokale ein. »Beispielsweise in der Grundschule an der Herforder Straße erfolgt die Stimmabgabe erstmals ebenerdig in der alten Hausmeisterwohnung«, erklärt Michael Schweiß, der im Rathaus für die Organisation der Wahlen zuständig ist.
Die Barrierefreiheit hilft Gehbehinderten und Rollstuhlfahrern, nicht aber Blinden und Sehbehinderten. Für sie steht eine Schablone mit Prägezeichen und Blindenschrift zur Verfügung, mit deren Hilfe sie die Wahlzettel auch ohne fremde Hilfe ausfüllen können: Die Schablone besteht aus einer gefalteten festen Pappe, in der der Wahlzettel fixiert wird - 15 Löcher und tastbare Beschriftungen erlauben es, das Kreuz an der gewünschten Stelle zu machen. Auf einer Begleitkassette nennt ein Sprecher zusätzlich die Daten aller in dem jeweiligen Bezirk wählbaren Kandidaten Daten: »Loch 1, Dr. Axel Horstmann...«, »Loch 2: Wolfgang Aßbrock...«
Für die seit einiger Zeit im Bürgerbüro aufgestellte Wahlkabine hatte Michael Schweiß bereits vor vier Wochen direkt beim Landesverband eine solche Schablone angefordert. »Leider haben wir sie trotz mehrmaliger Nachfrage nie erhalten, so dass wir den Service im Rathaus nicht direkt anbieten können«, bedauert er.
Die Umsetzung des Behinderten-Gleichstellungsgesetzes klappt für den Bereich Wahlen auch sonst noch nicht so reibungslos, wie es der Gesetzgeber wünscht: »In einigen Städten werden Wahlautomaten eingesetzt, die können wir Blinde nicht einmal mit Schablonen nutzen«, hat Ulrich Lauch von anderen Behinderten erfahren
»Nach den Buchstaben des Gesetzes müsste nicht nur Blinden und Rollstuhlfahrern, sondern zum Beispiel auch einem Contergan-Geschädigten ohne Arme die barrierefreie Teilnahme an einer Wahl ermöglicht werden«, weist er auf weiteren Handlungsbedarf hin. Ähnlich sieht das Michael Schweiß im Rathaus.
Bei ihm habe es allerdings bislang keinerlei entsprechende Anfragen Betroffener gegeben. Noch nicht einmal die exakte Zahl der Behinderten unter den aktuell 15 557 Wählern sei bekannt.
Wahlschablonen können kurzfristig über Ulrich Lauch, % 0 57 33 / 1 85 94, oder über die Geschäftsstelle des Blinden- und Sehbehindertenvereins, % 0 52 21 / 50724, angefordert werden.

Artikel vom 19.05.2005