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Die Räumung
des Stiftbergs

20. Mai 1945: Häuser beschlagnahmt

Von Dr. Rainer Pape
Herford (HK). Anfang Februar 1945 hatten sich die späteren Siegermächte auf der Konferenz von Jalta (Krim) über die endgültige Aufteilung des Deutschen Reiches nach seiner Niederringung geeinigt. Man beschloss, vier Besatzungszonen einzurichten. Nach der Kapitulation des Deutschen Reiches am 8. Mai 1945 zogen sich die Truppen der Sieger in die ihnen jeweils zugewiesenen Zonen zurück. Da die Stadt Herford in der britischen Besatzungszone lag, wurden die amerikanischen Soldaten, die die Stadt am 4. April besetzt hatten, am 15. Mai von britischen Einheiten abgelöst.

Das war damals vielen Einheimischen gar nicht recht, glaubte man doch, die Amerikaner seien großzügiger gegenüber den Besiegten.
Am 16. Mai wurde in Herford bekannt, dass die Briten ihr Oberkommando hierhin verlegen wollten und deshalb große Teile der Stadt geräumt werden müssten. In der Tat war Ostwestfalen - insbesondere die Städte Herford, Bad Salzuflen, Bad Oeynhausen, Bünde, Lübbecke, Detmold und Minden - dazu ausersehen, das Hauptquartier der 21. britischen Armeegruppe unter Marschall Montgomery aufzunehmen. Sie wurde am 25. August in »British Army of Rhine« umbenannt. Ihrem »Military Government Staff« oblag die Regierung der britischen Zone.
Zwar waren bereits am 6. April in Herford Gerüchte aufgekommen, die Stadt müsse für Truppen geräumt werden, doch beruhigte man sich schnell, als nur vier Häuser am Stiftskamp beschlagnahmt wurden. Um so überraschender kam am 16. Mai der Befehl, bis zum 20. Mai mehrere hundert Häuser auf dem Stiftberg und in der Stadt zu räumen. Nur mit wenig Handgepäck versehen, mussten die Bewohner Haus und Hof verlassen.
Die Grenze des mit Stacheldraht eingezäunten Geländes auf dem Stiftberg von 1,35 Quadratkilometer Größe verlief vom Bergertor zur Salzufler Straße, dann weiter zur Langenbergstraße, von dort zur Ulmenstraße, zum Erika-Friedhof, hinter den Kasernen her über die Bismarckstraße zur Mindener Straße und von dort wieder zum Bergertor. Im übrigen Stadtgebiet mussten weitere 125 Wohnhäuser geräumt werden. Ende des Jahres 1945 gab es in der Stadt Herford allein 6 517 »Besatzungsverdrängte«, wie man die aus ihren insgesamt 1 050 Wohnungen Vertriebenen nannte. Sie alle mussten neben den vielen Evakuierten und Flüchtlingen in der teilweise zerstörten Stadt oder im Landkreis Herford untergebracht werden. Besonders bitter war es für die Betroffenen, dass sie fast alle Möbel und Gebrauchsgegenstände zurücklassen mussten und ihre Wohnungen und Gärten nicht mehr betreten durften.
Und das durften sie viele Jahre nicht mehr! Die Erbitterung unter den Besatzungsverdrängten wuchs immer mehr. Sie bildeten eine Notgemeinschaft, die nachhaltig die baldige Lösung des Problems forderte. Man verhandelte mit der Stadtverwaltung, den Engländern, der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen und dem Bundeskanzleramt. An der Besprechung im Bonner Bundeskanzleramt beteiligten sich auf Herforder Seite Superintendent Hermann Kunst, Hermann Thöne, Friedrich Silberhorn und Otto Büter. Auch die deutsche Presse nahm sich der Angelegenheit an. Erst nach zähen Verhandlungen besserte sich die Situation allmählich. Mehr und mehr Häuser wurden wieder freigegeben.
Die allgemeine politische Lage kam dabei der Notgemeinschaft entgegen. Von dem Zusammenwachsen der amerikanischen, der britischen und der französischen Zone zur Bundesrepublik Deutschland (1949) über den Bonner Generalvertrag (1952), die europäische Verteidigungsgemeinschaft, den amerikanisch-europäischen Atlantikpakt und die Verträge von 1954 wuchsen Einfluss und Ansehen der Bundesrepublik bis hin zu ihrer Souveränität. Im gleichen Maße aber verminderte sich die Kontrollfunktion der Militärregierungen über den ehemaligen Besiegten. Aus Feinden wurden Bundesgenossen und Freunde, die sich gegenseitig erlaubten, Truppen auf ihren Territorien zu stationieren.
Die britische Rheinarmee blieb in der Bundesrepublik Deutschland und übernahm eine wichtige Funktion innerhalb des westlichen Bündnissystems. Die Stadt Herford aber erhielt bei der Aufstellung der Bundeswehr nicht - wie vor dem Kriege - eine deutsche Garnison, sondern behielt die seit 1945 in ihren Mauern befindliche britische Garnison.
Die letzten beschlagnahmten Häuser in Herford konnten 1956/57 endlich ihren Eigentümern wieder übergeben werden. Am 20. Mai 1957 - genau zwölf Jahre nach der überraschenden Aktion auf dem Stiftberg - löste sich die Notgemeinschaft der Besatzungsverdrängten auf.
Fotos und Literatur: Rainer Pape: Notzeit - Herford zwischen Kapitulation und Währungsreform 1945 - 1948, Leopoldshöhe 1996.

Artikel vom 19.05.2005