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Fliegeralarm
platzt in die
Entlassfeier

Realschüler-Treffen nach 60 Jahren

Halle (kg). Den Tieffliegerangriff auf den »Haller Willem« vor den Toren der Stadt sahen die Pennäler vom Kammweg. Das war das Ende ihres Ausflugs zur Schulentlassung. Statt zum »Bergfrieden« rannten sie nach Hause - »wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen«. An die Schulentlassung erinnerten sie sich gestern: beim Klassentreffen nach 60 Jahren.

Im Krieg zur höheren Schule: Sechs Jahre haben die betagten Damen und Herren, die sich gestern im Hotel Schmedtmann trafen, gemeinsam die Haller Mittelschule an der Bismarckstraße besucht, berichtete Gerhard Wolf, der das Treffen gemeinsam mit Mathilde Niederhenke organisierte. Dann drückten Klassenlehrerin Luise Scharfenberg und Rektor Fritz Rosendahl den Jungen und Mädchen aus Halle und Umgebung, Brockhagen und Borgholzhausen am 23. März 1945 ihre Entlasszeugnisse in die Hand.
Für fünf von ihnen, darunter Gerhard Wolf, war es ein Luftwaffenhelferzeugnis, das in der »Reichsmessestadt Leipzig« ausgestellt worden war. Die mit 16 Jahren damals sicher noch »grünen« Jungen waren noch im Januar 1944 eingezogen worden. Erst mussten sie in Bielefeld bei der »leichten Flak« helfen, dann in Rheine bei der »schweren Flak«. Von dort wechselten sie in die Magdeburger und schließlich Leipziger Gegend. Auch dort blieb ihnen der Unterricht nicht ganz erspart - obwohl viele Stunden natürlich ganz ausfielen.
In Halle wurden inzwischen auch Kinder aus Bielefeld zur Schule geschickt. Wegen der schweren Bombenangriffe auf Bielefeld waren einige in Haller Familien untergebracht. Auch deshalb unterrichteten Gastlehrer aus Bielefeld an der Haller Schule.
»Wir hatten dennoch eine schöne Schulzeit«, sind die Entlassschüler von einst heute noch überzeugt. Vor allem der Zusammenhalt untereinander und in den Familien ist ihnen lebhaft in Erinnerung geblieben. Nicht nur Gerhard Wolf kennt seine Frau Gisela schon seit den gemeinsamen Tagen auf der Schulbank, wo eigentlich ausschließlich Mathematik, Geografie und andere Fächer angesagt waren. »Wir haben die Goldhochzeit jetzt schon hinter uns«, hat der 77-jährige Architekt aus Halle seine frühe Wahl wohl nicht zu bereuen gehabt.
Die Schulzeit endete jedenfalls wie es die Kriegszeit mit sich brachte. Am Tag ihrer Entlassfeier hatten die Pennäler schon frühmorgens Schutz vor Fliegerangriffen im Keller gesucht. Als der Schulleiter und die Klassenlehrerin den Jungen und Mädchen die Zeugnisse aushändigen wollte - übrigens schon morgens um sieben Uhr - gab es wieder einmal Fliegeralarm. Eine größere Feier mit schönen Ansprachen erübrigte sich natürlich.
Zehn Jahre nach der denkwürdiger Entlassung aus der Schule, die damals übrigens direkt neben der Volksschule an der Bismarckstraße lag, traf sich der Jahrgang 1945 zum ersten Mal im Gasthof Tatenhausen. Seitdem gibt es alle fünf Jahre ein Klassentreffen. Gestern waren eingeladen: Hans Bayer, Ingeborg Bischof, Ursula Gertig, Fritz Gödeke, Erna Horstkotte, Wilfried Kampmann, Anneliese Kapp, Mathilde Niederhenke, Gisela Niedermeyer, Käthe Oberwelland, Paul Rohde, Gerda Schacke, Helga Schmidt, Helmut Speckmann, Ingeborg Speckmann, Renate Upmeyer, Justus Graf von Kerssenbrock, der ganz kurzfristig wegen Krankheit absagen musste, Rosemarie von Lassaulx, Gerhard und Gisela Wolf.

Artikel vom 19.05.2005