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Die Sprache Hölderlins geformt

Bruno Ganz liest bei Literatur- und Musikfest in Bad Driburg

Von Ariane Mönikes
Bad Driburg (WB). Die meisten Schauspieler schlüpfen morgens in ihre Rollen, spielen einen Produktionstag lang eine ganz andere Person und legen diese beim Drehschluss wieder ab. Hängen die Rolle, die sie soeben spielten, wie das Kostüm, das sie soeben trugen, an den Haken in der Requisite. Anders ist es bei Bruno Ganz (64), der als Adolf Hitler im preisgekrönten Drama »Der Untergang« Weltruhm erlang und beim Literatur- und Musikfest »Wege durch das Land« zu Gast in Bad Driburg war.

»Die Rolle des Adolf Hitler lässt mich so schnell nicht los«, gibt der sympathische Schauspieler im Gespräch mit dem WB zu. Seitdem der Film in den Kinos anlief, ist das Interesse an Bruno Ganz mächtig gestiegen. Nicht nur den »Bambi« gewann er im vergangenen Jahr, auch eine Oscarnominierung kann der Züricher verzeichnen.
Dabei war es für den Vater eines Sohnes, der vom Theater kommt und schon in Volker Schlöndorffs »Die Fälschung« begeisterte, nicht einfach, Adolf Hitler ein Gesicht zu geben. »Moralisch hatte ich ganz schön Bedenken, Hitler zu verkörpern«, erinnert sich Ganz. Doch ähnlich souverän wie er in »Der Untergang« zu sehen war, rezitierte der Schauspieler in Bad Driburg Friedrich Hölderlin.
Auch hier las er nicht einfach nur, er lieh Hölderlin seine Stimme. In impulsiver Sprache, untermalt von ergreifender Mimik kommen ihm die Wörter über die Lippen: »Nun! Ich habe dich gefunden!/ Schöner, als ich ahnend sah, / Hoffend in den Feierstunden,/ Holde Muse! bist du daÉ/« Verfasst hat diese Verse Friedrich Hölderlin (1770 - 1843) an seine Geliebte Susette Gontard, in seiner Dichtung liebevoll »Diotima« genannt. 1796 weilte der Dichter in Driburg, wo er mit Susette eine unbeschwerte Zeit verbrachte.
Doch die von Bruno Ganz gelesenen Gedichte sind nicht nur vom Glück bestimmt: Susette war verheiratet, Hölderlin als Hauslehrer für die Kinder bei der Familie Gontard in Frankfurt angestellt. Die Flucht vor den französischen Truppen führte den Lyriker schließlich 1796 nach Driburg, wo er mit Susette glückliche Wochen verbrachte.
In weiteren Gedichten, wie »Vom Abgrund nämlich«, »Hälfte des Lebens«, »Wenn aus dem Himmel« kommt mehr und mehr die Stimmung Hölderlins ans Tageslicht, Bruno Ganz vermittelt sie dem großen Publikum im festlichen Theatersaal des Gräflichen Parkhotels wie kein anderer. Die hohe Sprache Hölderlins formt er zu melodisch rhythmisiertem Klang. Der große Schauspieler bleibt ganz bei sich selbst und bei Hölderlin, und das mit Empathie.
Einen ebenso gelungen Auftritt, beim Literatur- und Musikfest, das von Dr. Brigitte Labs-Ehlert bereits zum sechsten Mal veranstaltet wird, bot der englische Dichter und Hölderlin-Übersetzer David Constantine, der als Germanist am Queen«s College in Oxford lehrt.
Er imponierte mit einem beeindruckenden Gedichtzyklus zu Kaspar Hauser, der im Alter von drei Jahren in ein Kellerloch gesperrt wurde. »So lag unter Kaspars dünnem Gedächtnis / Ein Ozean und er fast ganz darin versunken.« übersetzt Bernt Hahn in die deutsche Sprache.
Das Kölner Streichsextett spielte die »Pastorale« in einer Fassung des Beethoven-Zeitgenossen Michael G. Fischer. Zu seiner musikalischen Liebeserklärung an die Natur bemerkte Beethoven: »Mehr Ausdruck der Empfindung als Mahlerey.«
Erneut war »Wege durch das Land« in Bad Driburg eine Veranstaltung der Superlative. Hier stellten die Protagonisten nicht einfach etwas dar, es war mehr als das. Sie waren eins mit dem, was sie von sich gaben und spielten nicht nur eine Rolle, die sie nach ihrem Auftritt von sich abstreiften. Kultur

Artikel vom 17.05.2005