14.05.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

»Standen im Niemandsland«

Anton Buchmann beschreibt die letzten Kriegstage in Harsewinkel

Von Judith Frerick
Harsewinkel (WB). Das Original-Schriftstück ist wohl in den Nachkriegswirren »verschütt gegangen«, eine vergilbte Kopie liegt den Nachfahren des ehemaligen Harsewinkeler Bürgermeisters Anton Buchmann aber noch vor. Fein säuberlich beschreibt das verstorbene Ex-Stadtoberhaupt auf vier Din-A5-Seiten die letzten Kriegstage in Harsewinkel. Seine Worte haben 60 Jahre nach Kriegsende eine ganze besondere Bedeutung, so dass auch der Harsewinkeler Autor Georg Terlutter sie in seinem jüngsten Werk »Neue Gedichte und Geschichten« abgedruckt hat.

Pfingsten, 1945, da war der »Spuk« schon vorbei. Das Osterfest vor 60 Jahren erlebten die Harsewinkeler aber noch mit Angst und Schrecken. »Das Jahr 1944 endete mit Fliegeralarm und das neue Jahr 1945 fing ebenfalls mit Sirenengeheul an. Die Monate Januar und Februar verliefen in ständigem Anwachsen des Fliegeralarms. Doch der Monat März brachte Alarm ohne Ende. Durch die Luft zogen die schweren Bomber, und die Flugzeugjäger nahmen sämtliche Eisenbahnzüge und den Straßenverkehr unter Bordwaffenbeschuss. Keiner traute sich, sein Haus zu verlassen«, beschrieb Anton Buchmann, der von 1946 bis 1956 Stadtoberhaupt Harsewinkels war, nachdem er den von den alliierten Streitkräften eingesetzten Bürgermeister August Claas abgelöst hatte.
Die Westfront rückte immer näher, die Detonationen wurden immer stärker und die »Türen und Fenster klapperten unaufhörlich durch die Lufterschütterung schwerer Sprengungen«, protokollierte der Harsewinkeler, der auch die Flüchtlinge aus Richtung Münster kommend nicht unerwähnt ließ. »Wir standen im Niemandsland«, so Buchmann. Und er listete auf: »Die Stromversorgung versagte. Neue Nachrichten kamen nicht mehr durch. Eisenbahnen fuhren nicht mehr. Zeitungen gab es nicht mehr. Keine Verbindung mehr mit der nächsten Ortschaft. Jeder Ort war auf sich selbst angewiesen. Und jeder Bürger sah mit Erbitterung den kommenden Stunden und Tagen entgegen«.
Das Osterfest und die Front rückten immer näher. Während der Karfreitag 1945, so notierte es das Stadtoberhaupt, in Harsewinkel im Zeichen ständiger Luftangriffe stand, herrschte die nächste Nacht und am Karsamstag eine merkwürdige Stille in der Mähdrescherstadt. »Diese Ruhe wurde unterbrochen von den schweren Sprengungen der Brücken und Flussübergänge«, schrieb Anton Buchmann nieder.
Die NSDAP forderte SS-Leute aus Halle an, die mit dem Volkssturm zur Verteidigung antreten sollten. Und Ostern rückte immer näher. Während sich Ortsgruppenleiter Adams nach Aachen abgesetzt hatte, herrschte in Harsewinkel tiefe, ernste Stille, statt nach der alten Sitte in der Osternacht das »Staoht up, staoht up« zu singen. Die Gläubigen gingen am Ostermorgen zur Kirche. »Während das Lied "Das Grab ist leer" gesungen wurde, ertönten die Stimmen der SS-Leute dazwischen: "Judenköpfe müssen rollen auf der Kegelbahn"«, hielt Anton Buchmann erschüttert für die nachfolgenden Generationen fest.
»Gegen Mittag des Ostertages am 1. April 1945 ergreift der Parteivorstand der NSDAP die Flucht. Am Ostermontag rückten die ersten Panzer auf Harsewinkel zu, die ersten weißen Fahnen wurden auf der Münsterstraße gehisst. Nur die SS-Leute leisteten Widerstand. »Am Abend des zweiten Ostertages atmete die Bevölkerung erleichtert auf«, so Buchmann. Der Zweite Weltkrieg war für Harsewinkel beendet.

Artikel vom 14.05.2005