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Wie braune Ideologie
den Alltag bestimmte

Norbert Sahrhages Buch: der Kreis in der NS-Zeit

Von Bernd Bexte (Text und Foto)
Herford (HK). Die Last der braunen Vergangenheit wiegt schwer. Was sind dagegen schon 2,7 Kilogramm. Und dennoch reichen sie für ein (ge)wichtiges Werk aus, in dem die Zeit der Nazi-Diktatur im Kreis Herford zusammengefasst ist. »Diktatur und Demokratie in einer protestantischen Region« heißt das Buch, das Norbert Sahrhage aus Spenge jetzt im Bielefelder Verlag für Regionalgeschichte veröffentlicht hat.

Der Lehrer vom Bünder Freiherr vom Stein-Gymnasium legt damit die erste umfassende Chronik dieser Zeit im Wittekindsland vor. 716 Seiten stark ist der großformatige »Ziegel«, der ab sofort im Buchhandel erhältlich ist. »Ich wollte aber nicht nur die zwölf Jahre der Diktatur, sondern auch die Vor- und Nachgeschichte darstellen«, erläutert der 53-Jährige. Deshalb lautet der Untertitel »Stadt und Landkreis Herford 1929 bis 1953«. Das Buch, an dem Sahrhage mehr als zehn Jahre gearbeitet hat, ist eine umgearbeitete Fassung seiner Dissertation, mit der er im vergangenen Jahr seinen Doktortitel erworben hatte. »Die ersten Vorarbeiten reichen bis in die 80-er Jahre zurück, als ich mit Schülern die Geschichte Bündes in der Nazi-Zeit erforscht habe.«
Viele Stunden hat Sahrhage im Kommunalarchiv, im Detmolder Staatsarchiv und im Berliner Bundesarchiv Polizeiakten, Verwaltungsunterlagen, Wiedergutmachungsvereinbarungen und Schulchroniken durchforstet. Herausgekommen ist der Versuch einer Gesellschaftsgeschichte für den Kreis, darüber hinaus auch eine Kollektivbiographie der Amtsträger jener Jahre, wie Verleger Olaf Eimer betont. »Zudem ist es ein tolles Nachschlagewerk«, ergänzt Christoph Laue vom Kommunalarchiv, das gemeinsam mit dem Kreisheimatverein Herausgeber ist. Die Sparkasse, einer der Sponsoren, wird allen weiterführenden Schulen des Kreises ein Exemplar zur Verfügung stellen. Finanziell unterstützt wurde die Erstauflage (gut 1000 Stück) zudem vom Kirchenkreis, der Landeskirche und vom Verein für Westfälische Kirchengeschichte.
Sahrhages Thesen regen zu Diskussionen an: »In einem protestantischen Raum wie Herford hatte es die NSDAP viel leichter, Fuß zu fassen.« Feste politische Bindungen wie die der katholischen Bevölkerung zum Zentrum gab es nicht. Der Schwerpunkt von Sahrhages Arbeit liegt aber weniger auf den politischen Ereignissen als auf kulturgeschichtlichen Ausprägungen: Wie wurde die Nazi-Ideologie in das alltägliche Leben des beschaulichen Wittekindslandes, in dessen Feste, Bräuche oder in das Vereinsleben integriert. Wer Geduld zur Lektüre des akribisch recherchierten Mammut-Werkes hat, bekommt bemerkenswerte Antworten.
Norbert Sahrhage: Diktatur und Demokratie in einer protestantischen Region. 720 Seiten, 218 Abbildungen. Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld. ISBN 3-89534-548-2.

Artikel vom 12.05.2005