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Das Heulen der Tiefflieger noch im Ohr

Oesterweger erinnern sich noch gut an die schlimmen Angriffe im Februar und März 1945

Von Stefanie Hennigs
Versmold-Oesterweg (WB). Sie waren Kinder, als es passierte -Êdoch das Heulen der Tiefflieger, das Rattern der Bordkanonen, die Bilder und die Ereignisse haben sie bis heute nicht vergessen. Vor allem ein Tag im Februar 1945 ist Hartwig Bißmeier (Jahrgang 1936), Karl-Heinz Böhler (Jahrgang 1937) und Hermann Breckenkamp (Jahrgang 1930) noch gut im Gedächtnis.

Es sind die letzten Wochen des Krieges. In Oesterweg lebten vor dem Krieg 1 200 Menschen. Im Haus Obernstraße 1 war die Poststelle und die Spar- und Darlehnskasse untergebracht, um die sich Hartwig Bißmeiers Mutter kümmerte. »Dort spielte sich das öffentliche Leben ab«, erinnern sich die Oesterweger. Denn dort war auch die öffentliche Fernsprechzelle.
Luftkämpfe zwischen deutschen und alliierten Flugzeugen vom Schulhof aus zu sehen, Bomberverbände, die nachts dröhnend über Oesterweg hinwegzogen -Êfür die Kinder war das damals Alltag. »Wir sind damit aufgewachsen. Aber natürlich hatten wir Angst.«
Gezielte Abwürfe über Oesterweg habe es nicht gegeben. »Höchstens Notabwürfe«, schildert Hermann Breckenkamp aus seiner Erinnerung einen Vorfall: Ein Flugzeug, das sich aus einem Verband gelöst hatte, warf 500 Meter vom Dorf entfernt sechs oder sieben Bomben ab. »Als ich gesehen habe, dass die Bomben ausgeklinkt wurden, habe ich mich nur noch in den Graben geworfen«, erinnert sich Hermann Breckenkamp. Die Druckwellen schleuderten Menschen, die auf dem Acker arbeiteten, zu Boden. »Schlimmeres ist jedoch nicht passiert.« Ein Blindgänger soll heute noch im Boden liegen. Immer wenn Bomberverbände anrückten, rannte der Schüler von Klasse zu Klasse in der Schule: »Luftgefahr 15!« rief er: In 15 Minuten sind feindliche Bomber über Oesterweg -Êfür die Kinder das Signal, den Tornister zu packen und die Schule zu verlassen.
»Richtig schlimm wurde es erst, als ab Spätsommer 1944 die Tiefflieger kamen«, sagt Hartwig Bißmeier. »Die schossen auf alles, was sich bewegt -Êauf Radfahrer, den Bauern mit seinem Milchwagen auf dem Weg zur Molkerei, auf Planwagen mit einem Pony«, erinnern sich die Oesterweger. Ganz schlimm sei es im Februar/März 2005 gewesen. »Vor allem, wenn Fliegerwetter - also klare Sicht -Êwar. Meist kamen sie mittags.«
So wie an jenem Tag im Februar 1945. Karl-Heinz Böhler, damals acht Jahre alt, spielt mit sechs weiteren Kindern im Alter von vier bis acht Jahren auf dem Hof an der Poststelle. Im Haus sitzt Hartwig Bißmeier beim Mittagessen in der Küche, auch Hermann Breckenkamp ist daheim. »Es war gleich nach der Schule.« Während eine Frau - eine Evakuierte -Êan der Poststelle schellt und mit Hartwig Bißmeiers Tante spricht, steht der Tagelöhner Eduard Tomancec ein paar Meter weiter und hackt Holz.
Ein Mitarbeiter eines Haller Schaustellerbetriebes fährt mit seinem Bulldog-Trecker samt Anhänger durchs Dorf, auf dem Trittbrett ein Zwangsarbeiter aus Polen. Hinter dem Trecker radeln die beiden Oberschüler Hermann Rose und Egon Uhlenbusch. »Man hörte die Tiefflieger aufheulen, dann das Knattern der Bordkanonen. Als ich aus der Tür kam, sah ich nur noch Blut und Pulverdampf«, schildert Hartwig Bißmeier. Die Kinder schreien. Der Treckerfahrer und der polnische Zwangsarbeiter sind tot, die Frau an der Tür schwer verletzt. Der Trecker ist gegen die Wand des Gebäudes geschleudert worden, in dem heute die Sparkasse ist. Leichenteile lagen überall. »Meine Tante hat nichts abbekommen.« - »Auch von uns Kindern war niemand verletzt«, berichtet Karl-Heinz Böhler. Die beiden Schüler waren bei Otto Kreft in Deckung gegangen. »Kreft hatte den Treckerfahrer noch vor den Tieffliegern gewarnt -Êdoch der hatte abgewunken: Bis die kommen, bin ich schon in Halle«, erinnert sich Hermann Breckenkamp. Tagelöhner Eduard habe zunächst gar nichts mitbekommen. »Er war ziemlich schwerhörig.«
Die schwer verletzte Frau wird von Hauderer Heinrich Borgmann ins Krankenhaus gebracht. »Es soll vorher noch einen Disput mit zwei Männern in Parteiuniform gegeben haben, die mit ihrem Auto durchs Dorf gekommen sind. Die haben sie nicht ins Krankenhaus bringen wollen.« Erinnerungen, die sie nie vergessen werden -Êund die sie nie wieder erleben möchten.

Artikel vom 12.05.2005