12.05.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Perel: »Ich hörte auf, Jude zu sein«

80-Jähriger stellte vor Zehntklässlern im Schulzentrum seine Autobiographie vor

Von Hartmut Horstmann
Vlotho (VZ). In Zeiten historischer Jubiläumsdaten haben Beiträge zur Geschichte Hochkonjunktur. Eine besondere Funktion kommt hier den Zeitzeugen zu, deren Beschreibungen über die bloße Wissensvermittlung hinausgehen. Lebendig und authentisch - diese Vokabeln prägten die Lesung von Sally Perel im Schulzentrum.

Der heute 80-jährige Sally Perel hat seine Erlebnisse während des Nationalsozialismus in dem Buch »Ich war Hitlerjunge Salomon« niedergeschrieben.
Die Geschichte des Hitlerjungen Salomon ist einzigartig, erklärt Perel. Sie handelt von einem jüdischen Jugendlichen, der überlebte, weil er seine Herkunft verleugnete und als vermeintlicher Volksdeutscher in die HJ-Schule in Braunschweig kam.
Der Mann, der im niedersächsischen Peine geboren wurde, trifft in der Aula der Realschule auf Zuhörer mit Vorwissen. Die zehnten Klassen von Haupt- und Realschule hörten seinen Ausführungen zu, zuvor war das Thema Nationalsozialismus im Unterricht behandelt worden.
Hinzu kommt die von den Medien intensiv begleitete Auseinandersetzung mit dem Thema »60 Jahre Kriegsende«. Die Geschehnisse von damals sind bekannt - und doch gebe es immer noch Leute, die das alles für eine Lüge halten würden, sagt Perel: »Diese Leute sagen, es habe kein Auschwitz, keine Nazi-Verbrechen, keine Gaskammern gegeben.« »Unfassbar« ist es für ihn, so Perel später, dass Jugendliche mit Hakenkreuzen, Bomberjacken und Springerstiefeln herumlaufen.
Diese Erfahrung mag ein Grund dafür sein, dass der seit 60 Jahren in Israel lebende Mann immer wieder auf Lesereise nach Deutschland kommt. Dabei fällt sein Bild von der Jugend überwiegend positiv aus: »Die Jugend will wissen, was damals geschehen ist.«
Einfach einen Schlussstrich ziehen - das geht nicht, denn der Nationalsozialismus gehört zu Deutschland dazu. Perel: »Wer über Deutschland spricht, kann nicht nur über Goethe und Schiller sprechen und Himmler und Hitler ausklammern.« Auch mit dem Tod des letzten Zeitzeugen wird die Diskussion nicht enden - oder wie der 80-Jährige es formulierte: »Wir werden noch über Generationen Auschwitz-Invalide bleiben.«
Zur Biographie Perels: 1925 in Peine geboren, musste die Familie 1935 nach Lodz emigrieren. 1939 beginnt der Krieg, und Sally und sein Bruder müssen sich aus Angst vor den Deutschen nach Russland durchschlagen. Sally kommt in einem Waisenhaus unter, wird 1941 von deutschen Soldaten entdeckt. Und hier beginnt die einzigartige Geschichte. Es gelang Perel, seine jüdische Herkunft zu verbergen. Als »Volksdeutscher« kommt er sogar zur HJ-Schule, wo er bis zum Ende des Krieges bleibt.
»Ich wollte überleben«, sagt Perel: »Ich hörte auf, Jude zu sein, und wurde Nationalsozialist.« Von diesem Zwiespalt, von dieser Spaltung der Person lebt das Erzählte - und von der Schilderung des individuell Erlebten, Erlittenen. So als ihm der Schulleiter einen Tag nach Inkrafttreten der Nürnberger Rassengesetze einen Zettel für die Eltern mit nach Hause gab: »Juden kommen nicht in unsere Schule.«
Aus der Vergangenheit die richtigen Lehren ziehen - Sally Perels Lesereisen liefern hierzu einen wichtigen Beitrag.

Artikel vom 12.05.2005