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Mit Sprung in Graben gerettet

Anneliese Kapp berichtet von ihrer Schulzeit am Ende des Weltkrieges

Von Katrin Niehaus
Borgholzhausen (WB). Tiefflieger, Unruhe, Angst: Das Ende des Zweiten Weltkrieges und das Ende ihrer Schulzeit hängen für Anneliese Kapp eng zusammen. »60 Jahre danach« erinnert sich die 76-jährige Borgholzhausenerin.

1939, zu Kriegsbeginn, fing auch für Anneliese Kapp ein neues Kapitel an. Sie besuchte fortan die städtische Mittelschule in Halle. In den ersten Jahren war die tägliche Fahrt zur Schule noch ruhig - der Krieg tobte andernorts. Der Fliegeralarm und die damit verbundenen Gefahren setzten erst 1944 ein.
»Im ersten und im letzten Jahr bin ich mit dem Fahrrad nach Halle gefahren. Einen Schulbus hatten wir nur zwischen 1940 und 1944«, erzählt die pensionierte Leiterin des Borgholzhausener Haupt- und Personalamtes. 1944/45 war die Fahrt bei gutem Wetter besonders riskant, denn wenn die Sonne schien, dann kamen häufig auch die Tiefflieger. Anneliese Kapp: »Das war meistens mittags der Fall. Ich kann mich noch gut an einen Tag erinnern. Ich war allein unterwegs und wollte bei Niederlücke von der B 68 abbiegen, als der Bahnhof beschossen wurde. Ich rettete mich mit einem Sprung in den Graben.«
Aber auch während der Schulzeit wurde der Unterricht immer wieder unterbrochen und die Schüler nach Hause oder zu Familien nach Halle geschickt - immer dann, wenn die feindlichen Flugzeuge auf Bielefeld oder Osnabrück zusteuerten und Halle überquerten. Anneliese Kapp fand meistens Unterschlupf bei einer Freundin in der Kaiserstraße.
Heute fragt sie sich, wie ihre Mitschüler und sie in diesen turbulenten Zeiten überhaupt noch etwas lernen konnten. Nicht nur einzelne Unterrichtsstunden, sondern ganze Fächer wurden vom Stundenplan gestrichen, weil viele Lehrer an die Front mussten. Besonders bitter wurde es für die Abschlussklasse, als im Januar ihre Jungen eingezogen wurden. »Der gesamte Jahrgang 1928 wurde Flakhelfer. In unserer Klasse gab es fast nur noch Mädchen«, sagt die Piumerin.
Den Tag ihrer Schulentlassung, eine Woche vor Ostern, als der Krieg im Altkreis beendet wurde, vergisst sie ebenfalls nicht. Auch an diesem Tag kamen die Tiefflieger, und die Entlassschüler mussten zunächst einmal in den Keller. Während alle anderen nach Hause geschickt wurden, mussten sie warten, denn sie sollten schließlich ihre Zeugnisse bekommen. Das geschah dann auch nach der Entwarnung. Und den traditionellen Ausflug zum Bergfrieden unternahm die Klasse ebenfalls im Anschluss. »Von dort aus sahen wir, dass Gütersloh bombardiert wurde«, so die 76-Jährige.
Das Kriegsende in Borgholzhausen eine Woche später erlebte sie im Keller ihres Elternhauses an der Bielefelder Straße. Panzersperren, Gefechtslärm, unzählige Militärfahrzeuge - zunächst deutsche, später amerikanische -, den Einsturz des Luisenturms am Ostermontag - all das vergisst Anneliese Kapp nicht.

Artikel vom 12.05.2005