12.05.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Freude über
erhöhtes
Stolperrisiko

Steine erinnern an NS-Opfer

Gütersloh (rec). Seit gestern ist die Stolpergefahr in Gütersloh gestiegen - und die Bürgermeisterin freut sich noch darüber. Der Kölner Künstler Gunter Demnig installierte die ersten neun von 27 geplanten »Stolpersteinen«, die im Straßenpflaster an Opfer des Nationalsozialismus erinnern.

Zum Beispiel an Leonhard Beifuss, Jahrgang 1904, der an der Kirchstraße 2 wohnte und 1943 nach Auschwitz deportiert wurde. Oder an seine Nachbarinnen Jenny und Paula Daltrop, beide Jahrgang 1883, die 1942 deportiert wurden und deren Spur sich im Osten verliert. Gunter Demnig fügte die Steine mit den Namen der Opfer in das Bürgersteig-Pflaster vor dem Haus. Wer die Namen und die Lebensdaten auf dem Messingschild gelesen hat, blickt auf und schaut auf das Haus, in dem sie einst lebten. »Das ist kein monumentales Denkmal, sondern eine alltägliche Erinnerung an Gütersloher Mitbürger, die schlimmes Unrecht erlitten haben«, sagte Demnig. Seit zehn Jahren verlegt der Künstler solche Stolpersteine in jeder Stadt, die es wünscht. Mehr als 3600 Steine sind inzwischen verlegt worden, unter anderem in Köln, Essen, Münster, Höxter und Bünde. Nicht überall ist er mit dieser Idee willkommen. In Leipzig und München wird die Installation abgelehnt. In Halle an der Saale rissen unbekannte Täter die Steine in der Nacht wieder aus dem Pflaster heraus.
In Gütersloh steht nicht nur der Rat geschlossen hinter der Aktion. Auch die Bürger unterstützen die Stolperstein-Installation mit Spenden - alles wird rein privat finanziert. Schüler der Klasse 8d des Evangelisch-Stiftischen Gymnasiums filmten den Künstler gestern bei der Arbeit. Am Abend diskutierten sie mit ihm und beiden Töchtern des vor den Nazis geflüchteten Güterslohers Jehuda Barlev in der Schulaula. Noemi Zell, einer der beiden Töchter, hatte die Aktion bei Bürgermeisterin Maria Unger angeregt. Ihr Vater hat die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Gütersloh erforscht. Die Namen aus seinem Buch sind die Grundlage des Projektes. »Das Vergessen des Bösen ist die Erlaubnis zu seiner Wiederholung«, zitierte die Bürgermeisterin am Abend vor den Schülern.
Den Pflasterarbeiten an der Kirchstraße wohnte auch Helmut Gatzen bei, ein pensionierter Pfarrer, der sich seit Jahren der Aufarbeitung der jüdischen Geschichte in Gütersloh widmet. »Eine wunderbare Aktion. Man stolpert richtig darüber«, sagte er.

Artikel vom 12.05.2005