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»Hier war es nicht so schlimm wie anderswo«

Friedrich Steinmeier berichtet Realschülern von der Bünder Nachkriegszeit

Von Bernhard Eickenberg
Bünde (BZ). Anlässlich des 60. Jahrestages des Kriegsendes in Europa hatte die Realschule Bünde-Nord am Montagvormittag den Lyriker und Schriftsteller Friedrich Steinmeier eingeladen. Er berichtete den knapp 200 Schülerinnen und Schülern des zehnten Jahrgangs von seinen Erlebnissen kurz nach dem Kriegsende.

Die Spannung war greifbar. Kein Flüstern oder Rascheln seitens der Schüler störte die Veranstaltung. Alles lauschte gebannt den Worten Friedrich Steinmeiers, der seinen Zuhörern anhand eigener Erfahrungen die Nachkriegssituation im Raum Bünde schilderte. »Hier war es nicht so schlimm wie anderswo in Deutschland«, erinnerte sich Friedrich Steinmeier, der damals erst 14 Jahre alt war - fast so alt wie die Schüler und Schülerinnen heute. Dennoch sei auch die Lebenssituation in Bünde alles andere als angenehm gewesen. Noch immer sei einem das Rattern der Maschinengewehre in Erinnerung, überall sah man weinende Mütter und Ehefrauen, die vom Tod ihrer Söhne und Männer erfahren hatten.
Da es kaum genug Lebensmittel für die Bevölkerung gab, sei in dieser Zeit auch viel gestohlen worden. Hierbei nahm sich Friedrich Steinmeier auch selbst nicht aus. »Für die Diebstähle, die wir begangen haben, wären wir voher ins Lager gekommen - jetzt war es eher eine Art Sport. Die Moralvorstellungen hatten sich komplett geändert«, berichtete der Bünder.
Doch nicht nur die Moralvorstellungen, auch der Alltag habe sich geändert. So wurde beispielsweise aus dem morgendlichen »Heil Hitler« ein gewöhnliches »Guten Morgen«.
Sein junges Publikum sog seine Erzählungen auf wie ein Schwamm und stellte dem Zeitzeugen auch nach seinem Vortrag noch Fragen. Besonders interessant wurde es, als das Wissen über die nationalsozialistischen Konzentrationslager angesprochen wurde. Diese Frage konnte auch Friedrich Steinmeier nicht eindeutig beantworten, da damals »kaum über dieses Thema gesprochen« wurde und er zur Zeit der Judenprogrome noch zu jung war, um all dies zu verstehen. Er selbst habe allerdings erst drei Jahre nach Kriegsende tatsächlich angefangen, an die Gräuel der KZs zu glauben und die Berichte nicht als Propaganda der Siegermächte abzutun.
Für Schulleiter Klaus Schröder war der Vormittag ein voller Erfolg. Das Besondere an dem Besuch Friedrich Steinmeiers sei für ihn, »dass die Geschichte in Geschichtchen aus dem Ort« erzählt und dadurch greifbarer dargestellt wurde.

Artikel vom 10.05.2005