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Über das Ende eines Irrweges

Professor Dr. Reinhard Rürup über das Ende des Zweiten Weltkrieges

Von Wolfgang Döbber
(Text und Foto)
Bad Oeynhausen (WB). 1934 in Rehme geboren, hat Professor Dr. Reinhard Rürup als Elfjähriger das Ende des Zweiten Weltkrieges miterlebt. Der Historiker war Referent der Abschlussveranstaltung der Reihe »60 Jahre Kriegsende« am Dienstagabend in der Druckerei.

Rico Quaschny, Leiter des Stadtarchivs, begrüßte Reinhard Rürup, der erstmals in seiner Geburtsstadt referierte. Das Thema lautet: »Der 8. Mai 1945 in der deutschen Geschichte«. Rürup hatte von 1975 bis zu seiner Emeritierung 1999 den Lehrstuhl für Neuere Geschichte an der Technischen Universität Berlin inne. Die Stiftung »Topographie des Grauens«, deren Präsident er war, geht auf seine Initiative zurück. 2004 trat er davon zurück, »die Politik und nie eingehaltene Versprechen«, so Rürup, hätten ihn enttäuscht.
Der Gast aus Berlin berichtete den rund 100 Zuhörern davon, »wie etwa 1943/44 der Unterricht durch Fliegeralarm unterbrochen wurde und wie der Krieg in den Zeitungsanzeigen mit den zahlreichen Heldentoten sichtbar wurde«. Er und seine Kameraden hätten lieber gespielt, in dem Alter »kann ich mich nicht an eine antisemitische Indoktrination erinnern.«
Rürup vertiefte in seinem gut 70-minütigen Vortrag die Frage nach der Bedeutung des 8. Mai 1945 für die deutsche Geschichte sowie auch für die deutsche Mentalität und Psyche. Der Professor stellte seine Überlegungen über den historischen Tag immer facetten- und argumentationsreich in den Kontext der »Kontiunität von Geschichte«. Er verwies auf die militärischen, völkischen und wilhelminischen Traditionen der deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. »Die braunen Horden kamen ja nicht von außen, sondern von innen«, bemerkte der Historiker. Das habe Spuren hinterlassen. So zitierte er eine Umfrage aus dem Jahre 1948, nach der immer »noch 57 Prozent der Deutschen den Nationalsozialismus für eine gute Idee hielten, nur schlecht ausgeführt«.
Das leitete über zu der Kernfrage: Der 8. Mai 1945, ein Tag der Befreiung oder der Niederlage? Präzise umriss er die unterschiedlichen Dialektiken in den Jahrzehnten nach dem Krieg: die Verdrängung, aber auch die aufstrebenden Bemühungen, sich mit dem Tag auseinanderzusetzen. »Willy Brandt hat das am 8. Mai 1970, der ersten offiziellen Gedenkveranstaltung im Bundestag, getan. Aber die Ambivalenz seiner Rede war spürbar«, erinnerte sich Reinhard Rürup.
Für Rürup gibt es auch nicht die viel zitierte »Stunde Null« in der Geschichte des Krieges, dafür argumentierte er als Historiker zu übergreifend. Einen Irrtum gestand er auch ein: »Wir dachten als Historiker noch im Jahre 1995, 50 Jahre nach Kriegsende, sei nun alles gesagt und ausgewertet.« Aber dann seien die Wehrmachtsdebatte und die Goldhagen-Debatte (»Hitlers willige Vollstrecker«) gekommen. Der 8 Mai 1945 sei »das Ende eines Irrweges der Deutschen Geschichte gewesen«, analysierte der Referent.

Artikel vom 05.05.2005