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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrerin Heidrun Rudzio, Espelkamp


»Nicht schon wieder!» denken Sie vielleicht. Worte der Besinnung zum 60. Jahrestag des Kriegsendes. Seit Jahresbeginn häufen sich doch schon die Berichte in den Medien, die sich mit dem 8. Mai 1945 beschäftigen. Historiker berichten über die Einzelheiten des Krieges, aber auch »ganz normale Menschen« erzählen, wie sie diese Zeit erlebt haben, was sie durchmachen mussten. Ich gestehe: Manchmal denke ich auch »Nicht schon wieder!«, wenn zum gemütlichen Teil des Abends wieder Panzer über den Bildschirm rollen.
Aber oft sehe ich dann doch hin. Denn die Filmdokumente und die Zeitzeugen geben mir Einblick in eine Zeit, an die ich keine eigenen Erinnerungen habe. Wie inzwischen viele Menschen in unserem Land, kenne ich Krieg nur aus den Erzählungen meiner Eltern und Großeltern. Und was ich höre und sehe zeigt mir: Es ist wichtig, dass die Erinnerungen daran nicht verloren gehen. Eindrücklich beschreiben die Augenzeugen, was es bedeutet, im Krieg zu sein, in den Krieg zu ziehen. Krieg bedeutet: Unvorstellbares Leid und die Entmenschlichung der Menschen. Die Zeitzeugen, Männer und Frauen, berichten von Gewalt und Verbrechen gegen alle Menschlichkeit, begangen von Deutschen und Alliierten, von Soldaten und Zivilisten.
Damit Menschen menschlich bleiben können, ist es wichtig, dass wir diese Zeitzeugen sehen und ihnen zuhören. Denn sie geben den Berichten über die Schrecken des Krieges ein menschliches Gesicht. Erst da, wo der andere nicht mehr als Mensch erkannt wird, wird es erst möglich, sich mit Waffengewalt zu bekämpfen. Nicht »der Deutsche« und »der Russe« standen sich an der Ostfront gegenüber, sondern deutsche und russische Männer. Nicht »der Amerikaner« hat Japan bombardiert, sondern ein amerikanischer Mann hat eine Atombombe gezündet und auf japanische Frauen, Männer und Kinder geworfen.
Gerade wir Menschen, die nach dem 8. Mai 1945 geboren sind, brauchen die Erinnerung an diese Zeit, denn: Dieser Krieg ging von Deutschland aus. Ich möchte das nicht vergessen.
Ich möchte im anderen, auch im Fremden, den Menschen sehen, der wie ich von Gott geschaffen wurde. Dann wird aus dem »Nicht schon wieder!« das, was viele Leute der Kriegsgeneration sagen, nämlich: »Nie wieder Krieg!«, oder wie die Gründungsversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen es 1948 gesagt hat: „»Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein.« Wer in den Krieg ziehen will, hat die biblische Botschaft dabei nicht auf seiner Seite. Auch bei den Präzisionswaffen in den »modernen Kriegen«, sitzt ein Mensch am Hebel. Und wenn er ihn betätigt, sterben andere Menschen.
Die Botschaft, die ich aus den vielen Lebensberichten der Zeitzeugen höre, lautet: In der einen Welt als Menschen miteinander leben - das ist die Herausforderung, der wir uns stellen sollten. Und das scheint schwieriger zu sein als die Entwicklung neuer Waffensysteme, denn in den vergangenen 60 Jahren sind wir auf dem Weg der Verständigung erst kleine Schritte vorangekommen. Aber wir sind damit auf dem richtigen Weg. Denn Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein.
»Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der Herr: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung.« (Jeremia 29,11)

Artikel vom 07.05.2005