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Führerbild
verbrannte

Dr. Martin Büchner erinnert sich

Von Julia Lüttmann
Spenge (SN). Vor 60 Jahren endete der Zweite Weltkrieg. Die Redaktion der SPENGER NACHRICHTEN nimmt dieses zum Anlass, Zeitzeugen berichten zu lassen, wie sie die letzten Tage des Krieges erlebten. Im dritten Teil der Serie »Mein Kriegsende« erzählt Dr. Martin Büchner (73).

Als 13-jähriger HJ-Pimpf erlebte er im thüringischen Meiningen mit, wie das »1000-jährige Reich« zusammenbrach. In seinem Tagebuch notierte er, was sich im April 1945 in Meiningen abspielte.
Am 1. April, dem Ostersonntag, rückten die amerikanischen Panzer auf Meiningen vor. Vom Turm des herzoglichen Schlosses aus, in dem die Familie Büchner Schutz gesucht hatte, sah Martin Büchner, wie die Panzer der Garnisonsstadt immer näher kamen.
»Fünf Tage lang wurde Meinigen von den Amerikanern belagert.« Am 2. April, so hat es der Heranwachsende vermerkt, gab es heftigen Artilleriebeschuss: »Alle Vorräte wurden an die Bevölkerung verteilt, und es wurde geplündert bis zum Anschlag.« Im Hause Büchner entwickelte sich hektische Aktivität: Die Eltern, die ein Schreibwarengeschäft betrieben, verbrannten Führerbilder und Hakenkreuzfahnen im riesigen Ofen - bis eine Stichflamme aus dem Schornstein schoss. Das Braunhemd der HJ-Uniform verschwand, die Uniform wurde umgearbeitet - ein Jahr später wurde Martin Büchner darin konfirmiert. Am 3. April floh die Familie wieder in das herzogliche Schloss. »Nur nur noch dort ist es sicher, weil Meinigen bis zum letzten Blutstropfen verteidigt werden soll.« Nüchtern schreibt Martin Büchner diese Tatsache nieder. Am 5. April endet der Krieg in Meiningen. »Offiziell wurde kapituliert«, schmunzelt der 73-Jährige heute. Tatsächlich hatten sich aber alle Parteigrößen abgesetzt. Für Büchner begann eine aufregende, neue Zeit. »Ich war immer gegen das Regime, weil ich frei sein wollte«, erinnert er sich. Der Drill der HJ, die Gleichschaltung waren ihm zuwider. Man habe den Terror überlebt, und »Gott möge dem anderen Elend auch ein Ende bereiten«, hoffte Martin Büchner am 6. April.
Seine Wünsche wurden erfüllt. Die amerikanischen Besatzer hat er in guter Erinnerung: Nicht allein, dass der 13-Jährige auf den Militärjeeps mitfahren durfte; die vom »Feind« eingesetzte Zivilverwaltung funktionierte. Es war neu für den Heranwachsenden, dass Ämter nach Qualifikation und nicht nach Parteizugehörigkeit vergeben wurden, denkt er zurück.
Und bereits nach acht Tagen öffnete das Theater wieder. »Hurra, wir leben noch« oder »Im Weißen Rössel« wurde gegeben, daran erinnert sich Büchner noch genau. Und als das Theaterstück einmal nicht vor der Ausgangssperre beendet war, wurde in der Kommandantur um Verlängerung der Ausgangssperre gebeten. »Und die Kommandantur gab dem statt«, lacht Dr. Büchner.
Die unbeschwerte Zeit dauerte jedoch nicht lange: Von Juli an gehörte Thüringen zur Sowjetisch besetzten Zone (SBZ), die sozialistische Ordnung sollte aufgebaut werden. 1950, nach dem Abitur, flüchtete Büchner in den Westen. »In den Uniformen steckten wieder die gleichen Menschen. Als mein ehemaliger HJ-Führer plötzlich Erzieher wurde, bin ich geflohen.«
Die nächste Folge der Serie »Mein Kriegsende« erscheint am Donnerstag, 5. Mai. Dann erzählt Heinrich Kronsbein, der aus dem Lazarett in der Spenger Menkhoff-Schule in die Gefangenschaft abtransportiert wurde.

Wenn auch Sie, liebe Leserinnen und Leser, in den SPENGER NACHRICHTEN von ihren Erfahrungen berichten möchten, melden Sie sich bitte unter % 0 52 24-98 61 14.

Artikel vom 03.05.2005