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Erinnerungen aus dem
»kollektiven Gedächtnis«

Walter Kempowski liest aus seiner »Echolot«-Collage

Von Birte Penshorn (Text und Foto)
Spenge (SN). Gedanken, Empfindungen und Erinnerungen von mehr als 8000 Menschen hat Walter Kempowski in seinem Archiv gelagert - in Form von Tagebüchern. Diese Aufzeichnungen aus den Tagen des Zweiten Weltkriegs hat der Autor in seiner Echolot-Collage zu einem »kollektiven Gedächtnis« zusammengefasst. Am Donnerstag las der gebürtige Rostocker in der Werburg-Scheune aus dem vierten Band.
Dieter Meyer (Kulturamt, r.) überreicht Walter Kempowski ein Buchgeschenk.

Mit »Abgesang '45« beendete Walter Kempowski seine Echolot-Reihe. Einzig um die letzten Tage des Krieges und die Zeit nach der deutschen Kapitulation drehen sich die Eintragungen, die der Autor ausgewählt hat. »Unter der heiteren Oberfläche liegt oft eine große Tragik verborgen«, warnte er jedoch seine Zuhörer.
»Abgesang 1945. Es ist der 8./9. Mai. Null Tage bis Kriegsende.« Mit diesen Worten tauchten die Zuhörer in eine andere Welt ein, eine Welt, die die meisten der Anwesenden noch am eigenen Leib erfahren haben. In einem Strudel aus Erinnerungen und Gefühlen zog Walter Kempowski seine gebannten Zuhörer immer tiefer in das Jahr 1945, beleuchtete mit vielen Personen aus unterschiedlichen Ländern diese letzten Kriegstage. Dabei ließ er sich nicht gerne unterbrechen. Kaum hallte ein Husten aus dem Publikum an sein Ohr, hielt er in seinen Vortrag inne, um mit der geballten Aufmerksamkeit seiner Zuhörer fortfahren zu können.
Vom KZ-Häftling über einen deutschen Offizier bis zu einem Rotarmisten. Weit reichte das Spektrum der Gedanken, die der Autor sein Publikum nachvollziehen ließ. Doch auch die niedergeschriebenen Stimmen bekannter Persönlichkeiten kamen bei Walter Kempowski zu Wort. Erich Kästner sah an jenem Tag im KZ Theresienstadt seinen Bruder nach langer Zeit wieder. Stalins Tochter Svetlana rief ihren Vater an, als das Kriegsende verkündet wurde und sie »fühlte sich dabei herrlich, wie alle Menschen in Moskau«.
Mit Hölderlins Gedicht »Der Frühling« endete dieser Abend, der noch einmal in die Schrecken des Krieges zurückführte und doch gelegentlich zum Schmunzeln einlud. Erst nach einem langanhaltendem Applaus konnte sich Walter Kempowski seinen Lesern widmen, die zahlreiche Bücher zur Signatur mitgebracht hatten.

Artikel vom 30.04.2005