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Ur-Warburger im Forscherlabor

Ausstellung mit Rekonstruktion eines Steinzeitmannes öffnet in Herne

Aus Herne berichtet Jürgen Vahle
Herne/Warburg (WB). Die Menschen, die vor 5400 Jahren in Warburg lebten, hatten Gesichtszüge wie du und ich. Das ist das Ergebnis einer Schädelrekonstruktion, die gestern im Museum für Archäologie in Herne vorgestellt wurde. Die in Paris lebende Künstlerin Elisabeth Daynès hat in den vergangenen zehn Monaten gemeinsam mit Experten der Pariser Polizei das Antlitz eines Ur-Warburgers anhand seines Schädels nachgebildet.

Der Kopf des bei seinem Tod etwa 40 Jahre alten Mannes steht im Mittelpunkt der Dauerausstlung »Forscherlabor«. Darin wird an 14 Stationen für den Laien verständlich dargestellt, wie Archäologen arbeiten. Die neue Präsentation in dem erst zwei Jahre alten Herner Museum konzentriert sich auf Funde aus Warburg. In den Jahren 1986 bis 1993 wurden sie auf dem Acker von Landwirt Robert Michels an der Papenheimer Straße gemacht. Die Knochen und Grabbeigaben wie Keramik, Schmuck und Steinwerkzeuge befanden sich in einem Großsteingrab. 80 Menschen waren dort beerdigt. Der jetzt rekonstruierte Schädel wurde deshalb ausgewählt, weil er nicht nur gut erhalten war, sondern auch noch sein Unterkiefer gefunden wurde.
In einem Metallkoffer hat die Archäologin Sandra Fleschenberg (35) den 5400 Jahre alten Schädel per Flugzeug nach Paris geschafft. Natürlich hat die Münsteranerin vorher beim Zoll Bescheid gesagt, dass sich im Handgepäck besondere Knochen befinden. Auch ein offizielles Schreiben des Museums hatte sie mit, »damit ich am Flughafen nicht als Mörderin verhaftet werde«, berichtet sie und schmunzelt.
In Paris angekommen, transportierte sie den Metallkoffer in das verwinkelte Atelier der Künstlerin Elisabeth Daynès in einer Pariser Seitenstraße. Die Bildhauerin arbeitet eng mit Fachleuten der örtlichen Gerichtsmedizin zusammen und gilt weltweit als Expertin für die Rekonstruktion von Gesichtern anhand von Schädeln. Die Pariserin hat in Deutschland beispielsweise Modelle von Neandertalern gestaltet und zuletzt dem Seeräuber Klaus Störtebeker ein Gesicht gegeben.
»Wir waren alle sehr gespannt, wie der Steinzeitmann wohl aussehen mag«, berichtete auch Dr. Barbara Rüschoff-Thale, Leiterin des Museums, gestern bei der offiziellen Präsentation. Das Modell, das dann aus Paris zurückkam, zeigt einen Mann mit »normalen« mitteleuropäischen Gesichtszügen. »Viele denken immer, die Steinzeitmenschen sähen aus wie Neandertaler. Das stimmt aber nicht«, berichtet Sandra Fleschenberg. Die Menschen, die 3400 bis 2700 vor Christi Geburt in Warburg gelebt hätten, seien sesshafte Bauern gewesen, die von Ackerbau und Viehzucht gelebt hätten, berichtet die 35-jährige Wissenschaftlerin. Die Ur-Warburger hätten in Gruppen zu mehreren Dutzend in kleinen Dörfern gelebt. Auch medizinische Kenntnisse seien vorhanden gewesen. Gebrochene Knochen seien auch vor 5400 Jahren so behandelt worden, dass beim Verletzten keine bleibenden Schäden zurückgeblieben seien. Selbst Operationen am Schädel habe es gegeben. Entsprechende Funde seien in Warburg gemacht worden, berichtet Sandra Fleschenberg.
Dass diese Menschen der so genannten Wartberg-Kultur einen Sinn für das Schöne hatten, beweisen Schmuckstücke aus Bernstein, die bei den Ausgrabungen an der Papenheimer Straße gefunden wurden. Ebenfalls ausgeprägt gewesen sein muss das soziale Verhalten der Warburger vor mehr als 5000 Jahren. Der Schädel einer bei ihrem Tod etwa 20 Jahre alten Frau, der ebenfalls in dem Grab gefunden wurde, war stark deformiert. Die Frau muss seit ihrer Geburt behindert gewesen sein - die Gemeinschaft pflegte sie bis zu ihrem Tod und bestattete sie in dem Steinkammergrab.
Manche Dinge bleiben aber trotz zahlreicher Funde spekulativ - die Kleidung beispielsweise. Vermutlich haben auch die Steinzeitmenschen in Warburg schon Hemden aus gewobenem Stoff gekannt. Erhalten ist davon jedoch nichts. Dass es solche Kleidungsstücke zu jener Zeit aber schon gab, beweist der bekannte »Ötzi«, der in den Alpen gefunden wurde. Er trug Hosen und Hemden - und starb etwa zur selben Zeit, wie der Ur-Warburger von der Papenheimer Straße.Kultur

Artikel vom 29.04.2005