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Mädchen in
»typischen«
Männerjobs

Gefragt: »Girls' Day«

Bünde/Kirchlengern (hr/vr)). Zwar können sich Mädchen heutzutage problemlos zum KFZ-Mechaniker oder Elektriker ausbilden lassen. Die Realität sieht allerdings anders aus. Auch in Zeiten von Gleichberechtigung gibt es typische Männer- und Frauenberufe. Während Männer im Handwerk dominieren, sind Frauen überwiegend in den erzieherischen oder pflegenden Berufen tätig. Ausnahmen bestätigen hier nur die statistische Regel.

Um Mädchen zu zeigen, dass sie durchaus auch für Männerberufe qualifiziert sind und um das Interesse an solchen Tätigkeiten zu wecken, ist der »Girls' Day« ins Leben gerufen worden, der regelmäßig an jedem vierten Donnerstag im April stattfindet. Auch in Kirchlengern und Bünde nutzten viele Mädchen die Gelegenheit, einmal in Betriebe hineinzuschnuppern und den Berufsalltag in Sparten kennen zu lernen, die eher untypisch für das weibliche Geschlecht sind.
An der Kästner-Gesamtschule Kirchlengern nahmen alle Schülerinnen der siebten und achten Jahrgangsstufe am »Girls' Day« teil. Vier konnten dabei in einer reinen Männerdomäne aktiv werden: im Bauhof der Gemeinde. Praxis pur erlebte dabei Sarah Freese. Die 13-Jährige konnte in der KFZ-Werkstatt des Bauhofes kleinere Wartungsarbeiten an einem richtigen Tanklöschfahrzeug vornehmen. In der Wartungsgrube der Werkstatt schmierte sie die Lenkung und Antriebswellen des Feuerwehrfahrzeuges ab, überprüfte außerdem den Ölstand, bevor es dann mit einem Bauhofmitarbeiter zur regulären TÜV-Abnahme fuhr. Ihr Eindruck: »Das ist alles sehr interessant, ich habe innerhalb weniger Stunden sehr viel gelernt.« Autoschlosserin will sie zwar nicht nicht werden. »Frauen können das aber auch«, betonte sie.
Ihre drei Mitschülerinnen gewannen Eindrücke von anderen Aspekten der Bauhofarbeit. Zwei von ihnen überprüften den Zustand der gemeindeeigenen Kinderspielplätze, eine andere war mit dem Elektrikspezialisten des Bauhofes unterwegs, kontrollierte einen Schaltkästen in der Gesamtschule und nahm unter Anleitung kleinere Installationen vor.
Eher in den Bereich Freizeitgestaltung führte ein anderes Praktikumsangebot. 13 Mädchen konnten hautnah erleben, welche Aufgaben Schwimmmeister im »Aqua Fun« haben. Nach einer ausführlichen Besichtigung der technischen Anlagen war dann Schwimmen im Warmwasserbecken angesagt.
Die Kästner-Gesamtschule Kirchlengern hatte auch ein Programm für die Jungen organisiert: Mit Bügeln, Wäsche falten, Knöpfe annähen und Snacks zubereiten konnten diese einen Haushaltspass erwerben und kamen bei den ungewohnten Tätigkeiten ganz schön ins Schwitzen. Einige lernten auch Step aerobic, den »typischen Frauensport«. »Schüler und Schülerinnen sollen ein neues zeitgemäßes Rollenverständnis mit mehr Verantwortungsgefühl für häusliche Arbeitsteilung entwickeln«, so die Koordinatorin des »Girls' Day«, Gabriele Schminke an der Gesamtschule.
Erfreut über die Vielzahl an Betrieben, die sich am »Girls' Day« beteiligen, zeigte sich auch Kirchlengerns Bürgermeister Rüdiger Meier. Allerdings habe die aktuelle Wirtschaftsanalyse der Gemeinde gezeigt, dass die freie Wirtschaft in der Elsegemeinde im Vergleich zu anderen Kommunen eine sehr geringe Frauenquote habe. Das gelte jedoch nicht für das Rathaus: »»57 Prozent aller Beschäftigten in der Verwaltung sind Frauen.«
»Es stinkt gar nicht so sehr, wie man vermutet«, lacht Bürgermeisterin Anett Kleine-Döpke-Güse beim Besuch des Klärwerkes, in dem gestern vier Schülerinnen der Pestalozzi-Schule ihren »Girls' Day« verbrachten.
Franziska Stroh, Sonja Jauch sowie Melanie und Melissa Protz lernten zunächst die Funktionsweise des Betriebes bei einem Rundgang durch das Werk kennen. Sie bestaunten die technischen Anlagen und sahen mit eigenen Augen, wie aus schmutzigem Wasser sauberes wird. Diane Stratmann, Ver- und Entsorgerin im Labor, gewährte den 13-Jährigen einen Einblick in das Berufsbild der »Fachkraft für Abwassertechnik«. Sie selbst kennt aus eigener Erfahrung die Berührungsängste, die Mädchen mit so genannten »Männerberufen« haben. »Ich bin hier im Betrieb als Frau in der Minderheit. Von 18 Mitarbeitern sind nur zwei weiblich. Die Idee des Girls Day, junge Frauen für männertypische Berufe zu interessieren, finde ich sehr gut«, erklärt sie.
Nicht nur theoretisch wurden die Siebtklässlerinnen über das Ausbildungsprofil informiert, auch praktisch sammelten sie erste Erfahrungen mit dem Arbeitsalltag im Klärwerk. Bei Laborarbeiten durften die Mädchen Mikroorganismen unter einem Mikroskop untersuchen. Fazit der jungen Forscherinnen: »Der Girls Day ist eine gute Sache, um seinen Horizont zu erweitern. Später möchten wir aber nicht in diesem Berufsfeld arbeiten.«
Eine ähnliche Erfahrung machte auch Svetlana Wolf von der Gesamtschule. Einen Tag lang schaute sie Dachdeckermeister Stefan Herbrechtsmeier bei der Arbeit über die Schulter. »Ich habe auf dem Firmenwagen die Telefonnummer gesehen und sofort dort angerufen«, erinnert sich die Achtklässlerin. Bei strahlendem Sonnenschein durfte sie nun auf einer Baustelle bei der Abdichtung einer Dachterrasse helfen. Latten mussten angebracht und Dachpfannen aufs Dach gelegt werden. Keine leichte Arbeit, aber Gesellin Janette Schmidt steht der 14-Jährigen mit Rat und Tat zur Seite. Dennoch wäre ein Beruf im handwerklichen Bereich für Svetlana nicht denkbar. Sie möchte lieber Bürokauffrau werden.
In Bünde bieten diverse Firmen die Teilnahme am »Girls Day«-Mädchenzukunftstag an. Bei der Firma Bopla Gehäuse Systeme GmbH wird Mädchen die Gelegenheit gegeben, Maschinen- und Anlagetechnik kennenzulernen, bei der Firma André bekommen sie Einblicke in die Schlosserei, die Elektroabteilung und lernen Laborarbeiten kennen, bei der Bünder Glas GmbH werden ihnen die Ausbildungsberufe Verfahrensmechanikerin, Industriemechanikerin und Fachelektronikerin vorgestellt. Die Bünder Feuerwache gibt Einblicke in die Aufgaben der Feuer- und Rettungswache, bei der Bädergesellschaft mbH lernten sie die Aufgaben eines Schwimmmeisters und die Technik im Schwimmbad kennen.
Auch für Jungen bestand die Möglichkeit, an diesem Tag Einblicke in eher frauentypische Berufe zu erhalten. So stellten einige Kindergärten interessierten Jungen das Berufsbild Erzieher vor.

Artikel vom 29.04.2005