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Mär von der Macht
des gütigen Herzens

Al Pacino glänzt als Shakespeare-Komödiant

Glanzvolle Namen versprechen bei »Der Kaufmann von Venedig« ein großes Vergnügen: Autor William Shakespeare, »Il Postino«-Regisseur Michael Radford und Schauspiellegende Al Pacino.

Die aufwendige Adaption des berühmten Theaterstücks bietet bildgewaltiges Star-Kino vom Feinsten. Der Film hält sich weitgehend an die Handlung von Shakespeares (1564-1616) vermutlich weltweit meist gespielter Komödie. Die aus Zeitgründen notwendigen Kürzungen dürften selbst eingeschworene Theaterliebhaber nicht stören.
Im Mittelpunkt steht also auch hier Shylock (Al Pacino), der dem Kaufmann Antonio (Jeremy Irons) Geld leiht. Dieser braucht die Summe, um seinem Freund Bassanio (Joseph Fiennes) das Werben um die Angebetete Portia (Lynn Collins) zu ermöglichen. Als Antonio das Geld nicht zurückzahlen kann, besteht Shylock auf dem vereinbarten Ersatz: einem Pfund Fleisch aus des Kaufmanns Brust. Hintergrund der Grausamkeit ist, dass Antonio Shylock dereinst allein wegen dessen jüdischer Herkunft beschimpft und bespuckt hat.
Die im Venedig des 16. Jahrhunderts spielende Mär von der letztlichen Macht gütiger Herzen besticht allein schon durch die optische Opulenz. Kameramann Benoit Delhomme zeigt die Lagunenstadt in betörendem Licht und schafft dem delikaten Schauspielensemble eine exquisite Kulisse.
Das A und O sind die Akteure, allen voran Al Pacino in Shakespeares wohl kompliziertester Rolle, um die sich auch Dustin Hoffman beworben hatte. Al Pacino, bereits mehrfach in Shakespeare-Rollen auf verschiedenen Bühnen erfolgreich, hat sich damit einen Traum erfüllt. Er tritt mit geradezu grandioser Exaltiertheit auf, lotet den schwierigen Charakter voller Pathos aus.
Vor allem dadurch bekommt die sicherlich sehr bekannte Erzählung auch bei Kennern des Stoffes eine starke Spannung. Der Star entgeht dank seines facettenreichen Auslotens der Figur vollkommen der Gefahr einer antisemitischen Deutbarkeit. Aber er verleiht Shylock ebenso wenig die zwiespältige Aura des ewigen Opfers. Der Geldverleiher ist auch im Film eine gerade durch ihre Vieldeutigkeit faszinierende Gestalt, einerseits von der Gesellschaft verachtet und gejagt, andererseits ein von Rache getriebener Geist.
Jeremy Irons und erst recht Joseph Fiennes können mit dem Superstar aus New York City nicht ganz mithalten. Lynn Collins allerdings kann. Die bisher nur in Nebenrollen aufgetretene Texanerin fesselt mit einer kraftvollen und charmanten Interpretation der so reichen wie intelligenten Portia. Hier offenbart sich ein herausragendes Talent!
Trotz der hinreißenden Stars, des außerordentlichen Schauwerts und der berstenden Spannung ließ sich das Publikum in den USA nicht in erwartetem Maß anlocken. Die nach offiziellen Angaben dreißig Millionen US-Dollar teure Produktion soll dort nur einen Bruchteil der Kosten eingespielt haben. In Europa, wo das Theater und damit Theaterverfilmungen einen höheren Stellenwert haben, sollte das anders sein. Cineplex

Artikel vom 28.04.2005