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»Wieder für Schule begeistern,
am besten ohne Notenprügel«

Helga Lange (Die Grünen) sieht die Erneuerbaren Energien als Chance für die Wirtschaft

Wenige Wochen vor der Landtagswahl am 22. Mai stellte sich die Grünen-Kandidatin, Helga Lange, zum Gespräch mit WB-Redakteur Stefan Küppers. Die Hallerin, die mit Nummer 21 keinen sicheren Listenplatz hat, nimmt Stellung zu den wichtigsten Fragen.
Name:Lange
Vorname: Helga
Partei:Bündnis 90/Die Grünen
Geburtsdatum:23. Dezember 1949
Geburtsort:Steinfeld (Kreis Vechta)
Familienstand:verheiratet, drei Töchter
Beruf:Lehrerin
politische Stationen: 1979 Gründungsmitglied Kreisverband der Grünen, seit 1984 im Rat Halle, seit 1987 im Kreistag (in beiden Gremien seit Jahren Fraktionssprecherin), seit 1998 Bezirksvorsitzende, Regionalrat (seit '98)
Wahlkreis:Altkreis Halle/Bielefeld
Politisches Vorbild:Wangari Maathai (Friedensnobelpreisträgerin 2004)
Hobbys:Segeln, Radfahren, Lesen
Stärke:ausdauernd
Schwäche:Kann schlecht Nein sagen
Politische Schwerpunkte:Umwelt und ÖPNV
Wenn ich einen politischen Wunsch hätte, würde......Rot-Grün weiter in Düsseldorf gestalten
Die begeisterte Radfahrerin Helga Lange isz stolz auf die politischen Erfolge beim ÖPNV-Projekt »Haller Willem«. Fotos: Stefan Küppers

Zur WirtschaftskriseKeine Partei hat ein Patentrezept. Aber wir haben gezeigt, dass wir durch Umweltprojekte massiv Arbeitsplätze schaffen können. Bei den erneuerbaren Energien sind in Deutschland 130 000 neue Arbeitsplätze entstanden. Photovoltaic, Windenergie, Biomasse: Das wirkt in ganz unterschiedlichen Wirtschaftsbereichen. NRW hat hier eine Vorreiterfunktion. Zwar ist der Markt im Moment eng. Wenn wir jedoch die rechtlichen Rahmenbedingungen schaffen, dass die Menschen Vertrauen in die Perspektive haben, dann investieren sie auch in diese Bereiche. Das ist nicht Wirtschaftspolitik nur für unsere Klientel. Seit Jahren predigen Grüne Dieselrußfilter, jetzt stehen wir vor einem Scherbenhaufen. Oder warum geht die Entwicklung bei dem Drei-Liter-Auto nicht weiter? Das könnten wir alles längst haben.

Zu erneuerbaren EnergienWir brauchen die drei großen E's: die Einsparung, die Effizienzsteigerung und schließlich die Eneuerbaren Energien, das ist die Zukunftsperspektive. Die fossilien Brennstoffe gehen zuende, und deshalb müssen wir jetzt in die Technologien einsteigen. Experten gehen von einer Vollversorgung mit erneuerbaren Energien im Jahre 2050 aus. Das finde ich faszinierend und wir brauchen solche hochgesteckten Ziele. Nicht immer sagen: Das geht nicht.

Zum ArbeitsmarktHartz IV war notwendig. Aber es war sicher ein Fehler, dass man nicht schon vor einem Jahr die vielen arbeitswilligen und arbeitsfähigen Sozialhilfeempfänger in die Arbeitslosenstatistik hineingerechnet hat, sondern immer versucht hat, die Statistik zu schönen. Jetzt wirken die fünf Millionen Arbeitslosen wie ein Schock.
Wir werden aber zur Kenntnis nehmen müssen, dass wir sie nicht alle in den 1. Arbeitsmarkt werden vermitteln können. Deshalb müssen wir sehen, wie wir auf dem 2. Arbeitsmarkt Möglichkeiten schaffen. Und wir sollten dies nicht auf sechs Monate beschränken, sondern sollten Menschen solange beschäftigen, bis jemand fit ist und eine passgenaue Arbeit gefunden hat.

Zu SubventionenNeuere Entwicklungen brauchen, um überhaupt an den Start zu kommen, erst einmal Unterstützung. Wie haben wir denn die Kernenergie subventioniert? Seit 30, 40 Jahren laufen die Anlagen und wir haben das Problem der Endlagerung immer noch nicht gelöst. Das wird uns noch Milliarden kosten. An die Steinkohle-Subventionen müssen wir mutig ran. Aber sie in den nächsten fünf Jahren auf Null zu fahren, ist sozialverträglich nicht zu machen.

Zur Umwelt-BürokratieWir müssen sehen, wie wir das Wirtschaften ausgestalten, dass es auch in 20 Jahren noch verträglich ist. Und da hat Umweltministeriun Höhn deutlich Flagge gezeigt. So gibt es heute Erfolge wie bei der Gewässerreinhaltung oder der Abfallbeseitigung, wo es Grenzen für die Gefährdung der nachfolgenden Generationen gibt.
Und in der Landwirtschaft haben wir beispielsweise die Erkenntnisse über Nitrat im Grundwasser. Da können wir nicht die Augen verschließen, deshalb gibt es Vorgaben beim Düngen. Aber Bürokratisierung gibt's ja nicht nur im Umweltbereich, sondern auch im Straßenbau, im Sozialwesen, im Arbeitsschutz, im Gesundheitswesen. Wir Grünen wollen wirklichen Bürokratieabbau, unnötigen Ballast über Bord werfen, Verfahrensschritte vereinfachen. Wir wollen aber keinen Abbau von Sozial- oder Umweltstandards.

Zur Verwaltungsreform Bevor wir in NRW Regierungsbezirke abschaffen oder zusammenlegen, müssen wir eine Aufgabenkritik machen. Erst dann kommen Strukturfragen. Wir werden bei der Größe von NRW weiterhin eine Mittelinstanz brauchen. Die Grünen-Fraktion hat sich auf das Modell mit nur noch drei statt fünf Bezirksregierungen verständigt. Aber ich bin anderer Meinung, weil ich glaube, dass dies aus Sicht von OWL nicht gut ist. Wir wären nämlich Münster zugeordnet. Und ich fürchte, dass wir dann als OWL nicht mehr so wahrgenommen werden.

Zur »Schule der Vielfalt«Wir Grünen haben mit unserem Modell »Schule der Vielfalt«, bei dem alle Schüler bis zur 10. Klasse zusammen unterrichtet werden, die Konsequenzen aus Pisa gezogen. Meine Töchter sind zur Waldorfschule gegangen, wo sie sogar bis zur 12. Klasse gemeinsam unterrichtet wurden. Und ich sage, es war ein Segen.
Das dreigliedrige Schulsystem kann nicht die Zukunft sein, das zeigt das erfolgreiche Ausland. Wenn ich schon nach der 4. Klasse über die weiterführende Schule entscheiden muss, erzeuge ich einen Leistungsdruck, der viele Kinder krank macht. Es muss stattdessen wieder Begeisterung für Lernen erzeugt werden, und das geht am besten ohne Notenprügel. Wir wollen auch mehr Leistung, aber das geht nur mit individueller Förderung. Wir wollen auch den 45-Minuten-Rhythmus in der Schule aufbrechen, mehr zu Projektarbeiten kommen.

Zum UnterrichtsausfallIch halte Versprechen von 8000 neuen Lehrerstellen für unseriös, ebenso sind es Unterrichtsgarantien. Es muss aber finanzielle Umstruktierungen geben. Ich würde gerne die überflüssige geplante Kriechspur am Hapkenberg gerne in die Bildung stecken.

Zur A 33Wir müssen sorgfältig gucken, was ist die richtige Lösung für Halle. Ich denke, das wird in diesem Jahr der Fall sein. Ich sehe im Moment kein Verzögerungspotenzial mehr für die A 33, zumindest wird es keine politisch beabsichtigte Verzögerung geben. Von Bärbel Höhn weiß ich, dass sie derzeit keine Südtrasse sieht, die verträglicher ist als die K-Trasse.
Ich hoffe noch auf ein Einsehen, dass die K-Trasse eingehaust wird im Verlauf entlang der Haller Südstadt. Ob wir das finanziert kriegen, ist eine andere Frage. Vielleicht kommen uns da die Feinstäube zur Hilfe, denn die werden 2010 von der EU noch einmal verschärft.

Zum »Haller Willem« Als der »Haller Willem« 1984 seine letzte Fahrt nach Osnabrück machte, hat keiner daran geglaubt, dass dieser Lückenschluss noch einmal gelingen könnte. Jetzt bin ich stolz darauf. Die Unterstützung des Bahnverkehrs aus Steuermittel ist in Ordnung, wenn wir mal dagegen rechnen, was Straßenverkehr wirklich kostet: Nicht nur der Spritpreis, sondern auch die Finanzierung gesundheitlicher Folgen.

Artikel vom 29.04.2005