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Auf langen Wegen der Erinnerung

Pedro Barrocal schafft Kunst zwischen Hervorbringung und Rücknahme

Von Johannes Zoller
Gütersloh (WB). Um auf etwas aufmerksam zu machen, verhüllt er es. Um etwas zu verdeutlichen, versenkt er es ins Geheimnisvolle. Und es zeigt sich bei ihm, dass er sein ganzes Leben auf der Suche war. Der Künstler Pedro Barrocal hat sich schon in jungen Jahren über alles hinweggesetzt, was seinem künstlerischen Werdegang im Wege stand.

Er brach damals sein in Valencia und Valladolid begonnenes Architekturstudium ab, um sich ganz der Malerei hinzugeben. Pedro Barrocal, der 1948 in Palencia (Spanien) geboren wurde, lebt seit 1970 in Deutschland. Er könnte heute mit seinem Gesamtwerk unzähliger Bilder, Collagen, Zeichnungen und Plastiken ein Museum füllen, und es wäre ein Trugschluss, wenn dies nur im Sinne der Quantität missverstanden würde. Er ist ein Künstler mit Tradition, der auf ein umfangreiches persönliches Lebenswerk zurückblickt und sich innerlich verbunden weiß mit den ihm vorausgegangenen wahren Künstlern der früheren Epochen. Auch seine ursprüngliche Heimat Alt Castilien hat eine tiefe Tradition. Einst war Kastilien die Kornkammer Spaniens und ist eine Kulturlandschaft romanischer Prägung und spiritueller Historie.
Pedro Barrocals jüngster Zyklus von ungefähr 100 kleinformatigen Bildern beschäftigt sich mit Menschen seiner Geburtsstadt. Unzählige Fotos sind ihm zugeschickt worden, und er brachte die Menschen mit dem, was sie unmittelbar betrifft, auf die Leinwand. Menschliche Bildnisse von Kindern wie Erwachsenen aus allen Milieus werden exakt gezeichnet und mit Acrylfarbe gemalt. Die vielschichtigen Schattierungen der Gefühle, Tätigkeiten wie damit verbundene Stimmungen kommen meisterhaft zum Ausdruck. Im Betrachten erlebt man den ersten Schultag eines Kindes, die Empfindung des aus dem Schwimmbad steigenden Mädchens, den träumenden Jungen auf dem Dreirad, eine spanische Familie, einen Torero oder einen Vater mit seiner kleinen Tochter auf den Knien. Barrocal ruft ins Gedächtnis zurück was jeder einmal erlebt haben könnte und was einmalig oder auch normal zu sein schien und bezeichnet diese seine Darstellungen als Posen. Vor diesen Posen, denen es an intimem Feingefühl nicht mangelt, wurde nun fünf-, sechs- und sieben-lagig Maschendraht angebracht. Dies schafft einen Verhüllungseffekt, der nicht totale, sondern indirekte Wirkung zeigt. Die Bilder werden dadurch ungreifbar und zugleich vielleicht noch prägnanter. Barrocal erzeugt den Zweifel an Wirklichkeiten.
Er führt zudem immer Buch über seine künstlerischen Prozesse und er ist ein Zweifler. Er zweifelt an der Darstellbarkeit, obwohl er sie perfekt beherrscht. »Ich bin nicht so sicher«, folgert er und will das, was er hervorbringt, auch wieder verschwinden lassen. Ja, verstecken will er es, um es in fast allen Fällen neu hervorzubringen.
Die jüngste Bilderreihe Barrocals, die noch nie öffentlich gezeigt wurde, ist wie eine Gerinnung aus dem Bisherigen. Die Gütersloher kennen seine Erd- und Aschebilder, in denen er sich intensiv mit Landschaften beschäftigte und für die ihm einst der erste Preis des Künstlerwettbewerbs »Die lippische Landschaft« von der Lippischen Gesellschaft für Kunst verliehen wurde. Auf seinem Entwicklungsweg war es dann so, als wären die Farben wie Blumen aus Mutter Erde hervorgebrochen. »Die Malerei kam durch die Erde hindurch«, sinniert Barrocal - und damit zunehmend auch Formen.
Immer wieder findet sich in Barrocals künstlerischem Ansatz, dass das Wesentlichste einer Aussage oder des Inhaltes in verhüllter Form erscheint und auf Grund des Verbergens schon wieder auffällt. In unzähligen Streifen greller Farbigkeit deutete der Künstler die unersättliche Bilderflut einer Konsumgesellschaft an, in der es Sinnvolles wie Sinnlosigkeiten gleichermaßen gibt. Wie eine Hintergrundstrahlung erscheinen in diesen Bildern dann Ausschnitte der Bürgerkriegsszenen. Der Künstler ist mit der dunklen Farbe sehr sanft umgegangen wie bei einem Requiem.
Ein Meisterzeichen sind die fast gänzlich unbekannten Zeichnungen und Schnitte Barrocals. Er zeichnet und malt große wie auch ganz kleine Motive, meistens menschliche Akte, zerschneidet sie und setzt sie neu zusammen. So entstehen auch hier verschiedene Betrachtungsebenen. Es wäre an der Zeit, dass diese Kunst der Öffentlichkeit gezeigt wird
Das gilt auch für seine Raumbilder, die kontrapunktisch zu den vorherigen stehen. Jene charakterisieren die Komplexität der Fülle während diese die Komplexität der Leere spürbar werden lassen. Es handelt sich um Räume, die in seiner Biografie wichtig waren. Sie sind ganz leer und niemand mehr ist darinnen, nur noch verdichtete Essenz. Jede der wohl neun unterschiedlichen Schaffensphasen im Leben Barrocals nahm einige Jahre in Anspruch. Er ist und war ein kontinuierlich Arbeitender im täglichen künstlerischen Engagement und sieht die Zeit als kostbares Gut.

Artikel vom 26.04.2005