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Opfer hatte
panische Angst

Haldemer Ausbrecher vor Gericht

Stemwede/Bielefeld (uko). Die vergangenen elf Jahre seines Lebens hat der 38-jährige Markus L. in Haft oder in geschlossenen Anstalten verbracht. Nach seinem Ausbruch aus der Klinik Schloss Haldem und dem Überfall auf eine Frau in Dielingen droht dem Gewalttäter nun eine gravierende Maßnahme: Neben einer Haftstrafe könnte die Sicherungsverwahrung angeordnet werden.

Seit Montag verhandelt die 2. Große Strafkammer den Fall, der am 26. Mai 2004 in Stemwede und in der ganzen Region für großes Aufsehen und blankes Entsetzen sorgte. Markus L. berichtete gestern zum Prozessauftakt ruhig und recht emotionslos über den Vorfall. Am Vortag habe er in der Klinik Schloss Haldem erfahren, dass er in naher Zukunft kaum mit Vollzugslockerungen rechnen könne. Markus L. überwand ein vier Meter hohes Tor und flüchtete. Kurze Zeit später hatte er Dielingen erreicht, wo er eigentlich mit seiner Entdeckung durch die Polizei rechnete. Als der 38-Jährige sich in einen Kellereingang drückte, ging die Tür hinter ihm auf. Der Mann aus Lüdenscheid inspizierte das leere Haus, versuchte mehrere Bekannte im Ruhrgebiet anzurufen, vergeblich.
Statt dessen hörte L. die Eingangstür, kurze Zeit darauf stand die 36-jährige Sabine V. (Name geändert) vor dem Ausbrecher. »Ich tue nichts, keine Angst«, habe er betont. Die Frau jedoch stand panische Ängste aus, wie sie gestern als Zeugin schilderte. Er habe schließlich sein Opfer aufgefordert, mit ihm zu duschen, sagte der Angeklagte. Gemeinsam mit dem Eindringling musste die Frau sich nackt unter die Dusche stellen. Zu sexuellen Handlungen durch den Gewaltverbrecher indes kam es dabei nicht. Obendrein war der Lebensgefährte der Frau erschienen. Markus L. erpresste das Paar, ihn nach Dortmund zu fahren. Dort war der Alptraum für die beiden Dielinger zu Ende.
Markus L. floh weiter nach Witten und dann nach Hagen. Im dortigen Rotlichtviertel lief er einer Polizeistreife über den Weg. Als sich der Mann nicht ausweisen konnte, wurde er festgenommen und als der Ausbrecher von Schloss Haldem identifiziert.
L. muss sich unter anderem wegen Körperverletzung, Nötigung, Raubes und räuberischer Erpressung verantworten. Nicht aufgeführt in der Liste der Strafvorschriften ist sexuelle Nötigung, und gerade das macht den Fall zu einem juristischen Problem. Markus L. kam erstmals 1988 als Heranwachsender in Haft, als er zumeist ältere Frauen sexuell nötigte. Noch im selben Jahr folgten psychiatrische Untersuchungen, die seinem Leben ebenso wie die Gewaltverbrechen einen markanten Stempel aufsetzen. Noch mehrfach wurde Markus L. gegenüber Frauen sexuell zudringlich, häufig in Verbindung mit dem Alkohol.
Im Juni 1989 verurteilte ihn das Landgericht Hagen deshalb zu dreieinhalb Jahren Haft, von denen er zwei Drittel verbüßte. Nach nur kurzer Zeit in Freiheit wurde er im Oktober 1995 zu fünf Jahren Haft und der anschließenden Sicherungsverwahrung verurteilt - ebenfalls vom Landgericht Hagen. L. saß die Strafe ab, kam 1999 in den Maßregelvollzug. Zwei Jahre später, im August 2001 wurde die Sicherungsverwahrung unter dem Rahmenbedingungen der Unterbringung in Schloss Haldem vollzogen.
Diverse Sachverständige hatten den Mann schon früher begutachtet, ihn teils als »dissozialen Psychopathen« bezeichnet, der »zu spontanen Aggressionen« neige, beurteilt. Diesem Votum schloss sich auch gestern ein Sachverständiger an, der allerdings die Kernfrage des Landgerichts Bielefeld nicht klar beantworten konnte: Ob Markus L. einen Hang zu weiteren erheblichen Gewalttaten habe, dazu erklärte sich der Gutachter eindeutig unentschlossen. Fraglich blieb vor allem, ob L. im Haus in Dielingen sexuelle Absichten hatte und warum er in diesem Fall (gottlob) keine Sexualstraftat beging. Wie die Zukunft des Gewaltverbrechers aussehen wird, soll am Mittwoch entschieden werden.

Artikel vom 26.04.2005