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»Ich habe den Deutschen alles verziehen«

Paderborner Schüler besuchten ehemalige Zwangsarbeiter in Polen

Von Benjamin Haerdle
(Text und Foto)
Paderborn (WV). Die Geschichtsstunde in Polen ist gelungen: 19 Schülerinnen und Schüler des Paderborner Wirtschaftsgymnasiums haben ehemalige Zwangsarbeiter besucht und nach deren Erinnerungen gefragt. Die Interviews werden in einem Buch veröffentlicht.

Freiwillig haben sich die 18- bis 20-Jährigen für das Projekt »Europäische Geschichte« gemeldet, das die beiden Lehrer Christoph Marx und Dirk Bauer betreuen. Ihre Partner sind Studenten der Universität Olsztyn, dem früheren Allenstein in Ostpreußen, die Aufgaben als Reisebegleiter und Dolmetscher übernommen haben.
»Ich habe den Deutschen alles verziehen«. Die 80-jährige Kazimiera Paszkiewicz findet deutliche Worte. In einem Dörfchen nahe der Stadt Schneidemühl träumte die damals 14-Jährige von Argentinien. Verschleppt wurde sie im Februar 1940 ins Westfälische und landete auf einem Bauernhof in Sennelager. Ihr Leid endete erst mit dem Einmarsch der amerikanischen Armee im April 1945.
Dazwischen lagen fünf harte Jahre der Zwangsarbeiterschaft. Von fünf Uhr morgens bis in die tiefe Nacht schuftete sie auf dem Hof, häufig auch sonntags. Ihr Lohn: Zehn Mark pro Woche. Die Mahlzeiten waren karg. Monatlich gab ihr die deutsche Bäuerin etwas Seife und einmal zu Weihnachten ein Paar unterschiedlicher Socken.
Trotz all der Demütigungen stellte sich Kazimiera Paszkiewicz nach dem Krieg vor ihre deutschen Peiniger. Diese hielten im Haus ein Gewehr versteckt, doch die Polin, befragt von amerikanischen Soldaten, sprach nur Gutes über die Bauern und bewahrte sie vor einer harten Strafe. »Ich hatte Mitleid. Mein Gewissen hätte mich nicht ruhen lassen«, sagt sie heute. Ihre Paderborner Leidensgeschichte hielt für sie immerhin ein Happy-End parat. Im Juni 1945 heiratete sie einen polnischen Mitgefangenen. Es gab ein Fass Bier, Wodka und jemand spielte Akkordeon, erzählt sie. Mit ihrem Ehemann, der vor kurzem verstorben ist, geht sie ein Jahr später nach Polen zurück.
Ihre Kriegsgeschichte hat sie so noch niemand erzählt, nicht ihren drei Kindern oder den Enkeln. Zu groß war ihre Furcht, dass Erinnerungen und Ängste wieder hochkommen. »Diese Jahre haben mein Leben verändert«, sagt Kazimiera Paszkiewicz.
Ähnlich urteilten einige andere der von den Schülern besuchten Zwangsarbeiter über ihre Zeit in Paderborn. Nur wenigen ging es besser als in ihrer alten Heimat, einer von ihnen ist Aleksander Tymoszczuk aus Wierzbica. Er wollte nach dem Krieg gar nicht mehr wieder zurück nach Polen. »Paderborn hat er als Chance gesehen und sich über die Arbeit in einem Reichsbahnausbesserungswerk sehr gefreut«, meint Schüler Jan Markus.
Von Hass auf die Deutschen war in den meisten Gesprächen, die die Schüler führten, nichts zu spüren. Auch das Thema der Entschädigung kam zur Sprache. 2 500 Zloty, sagt Kazimiera Paszkiewicz, erhielt sie von der Bundesregierung. Zu wenig für eine Arbeit, an deren Folgen sie heute noch leidet. Immerhin bekam sie von der Stadt Paderborn nochmals 400 Euro. Nach Deutschland will sie trotzdem nicht mehr zurück.

Artikel vom 23.04.2005