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»In allen Gemeinden fielen Bomben«

August Wehrenbrecht erzählt, wie er das Kriegsende vor 60 Jahren erlebte

Spenge (-jl-). Vor 60 Jahren ging der Zweite Weltkrieg zu Ende. Die Redaktion der SPENGER NACHRICHTEN nimmt dieses zum Anlass, Spenger Bürger erzählen zu lassen, wie sie die letzten Tage des Krieges erlebten. Im ersten Teil der Serie »Mein Kriegsende« berichtet August Wehrenbrecht (86), der nach schweren Verwundungen in Russland 1944 nach Spenge zurückkehrte. Dieses Bild zeigt den Spenger August Wehrenbrecht (links) mit Kameraden vor der Entlassungsstelle in Münster-Gievenbeck. Foto: SN
»Im November 1944 nahm ich den Dienst bei der Sparkasse wieder auf. Täglich waren alliierte Flugzeuge in der Luft, Bomberpulks mit festen Zielen, aber auch einzelne Jagdbomber. Sie schossen auf alles, was sich bewegte, auch auf Zivilpersonen. Wenn ich tagsüber mit dem Fahrrad unterwegs war, musste ich darauf achten, möglichst zu jeder Zeit eine Deckung aufsuchen zu können. In allen fünf Gemeinden des Amtes Spenge fielen Bomben, die die Menschen in Angst und Schrecken versetzten. Zum Glück richteten sie nur Sachschaden an, bis auf eine Bombe, die Walter Beckmann und Friedhelm Pankoke tötete.
Anfang April rollten amerikanische Panzer von Halle nach Herford. An einigen Häusern waren weiße Fahnen aufgehängt. Zu Kampfhandlungen kam es nicht mehr. In den Wohnungen machte man sich daran, Uniformen, Fahnen und Bilder von NS-Größen zu vernichten. Bei Nacht und Nebel vergruben mein Vater und ich eine mit Blech ausgeschlagene Kiste mit Erinnerungsstücken.
In Spenge wurde ein Lager mit Uniformstoffen aufgelöst und an die Bevölkerung abgegeben. Die Zigarrenmanufakturen verkauften ihre Waren zu normalen Reichsmarkpreisen ohne Rauchermarken, es kamen Leute mit bis zu 30 Kisten aus den Fabriken. Damit konnte man später viel ertauschen. Nagelneue Leichtmotorräder wurden verkauft. Alle diese Waren sollten den alliierten Truppen nicht in die Hände fallen.
Wir Sparkassenbediensteten taten unsere Arbeit und hatten keine Zeit, uns um diese Dinge zu kümmern. In Enger war der Sparkassentresor von der Besatzung versiegelt worden. Nun kamen von dort auch Bürger zu uns, um Geld von ihren Konten abzuheben. Ein paar ängstliche Leute meinten, nun ginge ihr Geld verloren.
Auf der Windschutzscheibe eines der ersten bei uns einfahrenden amerikanischen Jeeps stand in großen Buchstaben ÝAlles KaputÜ.
Das in der Gastwirtschaft »Westfälischer Hof« eingerichtete deutsche Reservelazarett wurde umstellt. Die Besucher verließen fluchtartig das Gebäude. Kurz danach löste man das Lazarett auf. Waffenbesitz war streng verboten. Darum warfen einige Leute ihre Jagdgewehre, Pistolen und Dolche in die Gewässer. Fotoapparate und Ferngläser mussten wegen Spionagegefahr abgegeben werden. Von 18 bis 7 Uhr durfte sich niemand auf der Straße aufhalten. Die Besatzung zog in beschlagnahmte Häuser und Schulen. Bald wurden Hausdurchsuchungen vorgenommen, wobei manches Schmuckstück, Uhren, Orden sowie Embleme des Dritten Reiches mitgenommen wurden. Die Amerikaner requirierten auf eigene Faust Rundfunkgeräte, Motorräder und Kraftwagen. Der Verkehr lag still. Die Telefonverbindungen waren abgeschnitten.
Deutsche Soldaten wurden geholt und den Franzosen übergeben. Zu ihnen gehörte der erst 18 Jahre alte Hermann Mohrmann, der dreieinhalb Jahre in französischer Gefangenschaft blieb.
Männer, die vor dem 30. Januar 1933 in die NSDAP eingetreten waren oder Führungspositionen in der Partei hatten, mussten sich vor dem Amtsgebäude einfinden. Sie kamen - zum Teil für Jahre - in Internierungslager. Die polnischen Arbeiter, die während des Krieges nach Spenge gekommen waren, wohnten in einer ehemaligen Fabrik, die weiß-rote Fahne hing auf dem Dach.
Am Vorabend des Geburtstages Adolf Hitlers, dem 20. April 1945, sprach der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, Dr. Joseph Goebbels, im Rundfunk und erklärte, dass Deutschland nach dem Krieg aufblühen werde wie nie zuvor. Realer sah das ein Nachrichtensprecher eines Hamburger Senders am 3. Mai: Er sagte, dass die Station in wenigen Minuten den Engländern übergeben werden müsste. Es kämen sicher schwere Zeiten für uns, es sei unwahrscheinlich, dass er weiter im Amt bliebe. Er wünschte den Zuhörern alles Gute und ließ die Nationalhymne spielen. Dann war Funkstille.
Am 2. Mai hörte ich im Radio die Nachricht, dass Hitler am 30. April im Kampf gefallen sei. Das war eine Lüge. Er hatte sich erschossen und verbrennen lassen. Über die Leiden des Volkes, das ihm bedingungslos gefolgt war und die hinterlassenen Trümmer war von ihm kein Wort gefallen.«

Wenn auch Sie, liebe Leserinnen und Leser, in den SPENGER NACHRICHTEN von ihren Erfahrungen berichten möchten, melden Sie sich bitte unter % 0 52 24-98 61 14.

Artikel vom 22.04.2005